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Frostherz

Frostherz

Titel: Frostherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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die Nachgeborenen festzuhalten. Für jene klugen, gesunden Nachgeborenen, die uns die Pränataldiagnostik sicherlich bescheren wird.« Er grinste bei seinen Worten über das ganze Gesicht. Brunner plusterte sich auf, seine Arme stellte er ein wenig seitlich aus, beinahe wäre er auf die Zehenspitzen gegangen und sein Atem ging schneller. Er rang nach Worten.
    »Und ja, erzählen Sie meinem Vater ruhig davon«, nahm ihm Cornelius den letzten Wind aus den Segeln. Alle Lehrer, wirklich alle, sogar die Netten, das hatte Anne selbst miterlebt, drohten Cornelius gerne damit, seinen Vater direkt im Lehrerzimmer mit den Vergehen des Sohnes zu konfrontieren. Ob sie das jemals wirklich getan hatten, wusste Anne nicht. Brunner wendete sich wortlos ab, ging zur Tafel und begann, mit quietschender Kreide Wörter aufzuschreiben. Nukleotide, Eukaryoten, Mosaikgen, Intron, Exon, Translation … waren nur die ersten davon. Dann drehte er sich langsam um, ein schmales Lächeln umspielte seine dünnen Lippen.
    »Bis zum nächsten Mal möchte ich, dass Sie eine Begriffserklärung dieser Worte zu Papier bringen. Und ich weise nur sachte darauf hin, dass die Inhalte im Schlaf sitzen sollten. Warum, können Sie sich sicher selbst zusammenreimen.«
    Er droht also mit einem Test, überlegte Anne, während die Mitschüler maulend und meckernd die Begriffe in ihre Hefte übertrugen. Sie linste zu Cornelius hinüber, und als sich ihre Augen trafen, lächelte er. Sie lächelte zaghaft zurück.
    Bisher hatte Anne kaum Kontakt zu Cornelius gehabt. Er war nach den letzten Sommerferien in ihre Klassenstufe gekommen, wiederholte die Elfte also. Sie hatte nur ein paar der Gerüchte aufgeschnappt, die über ihn in Umlauf waren. Dass er ein großkotziger Angeber war, der sich für was Besseres hielt. Zum einen, weil sein Vater Hermann Rosen Lateinlehrer und Konrektor der Schule war, zum anderen, weil er bis vor gut eineinhalb Jahren in Thailand gelebt und dort die deutschsprachige Schule in Bangkok besucht hatte, wo sein Vater Lehrer gewesen war. Dass Cornelius angeblich einen Spleen hatte und sich immer mit seinem Handy unterhielt, hatte sie gehört. Dass er schwul sei. Solche Sachen, über die Anne nicht weiter nachgedacht hatte. Wozu auch? Sie wusste genau, dass sie sich in seiner Gegenwart unsicher gefühlt hätte, unterlegen. Diese weltläufige Gelassenheit, die er ausstrahlte, ließ sie sich selbst noch kleiner und unbedeutender fühlen. Was würde er schon mit einer wie ihr zu tun haben wollen?
    Anne war es gewohnt, dass ihre Mitschüler sie nur wahrnahmen, wenn sie von Nutzen sein konnte. Hausaufgaben abschreiben, mit ihr ein Referat vorbereiten, das dann garantiert gut benotet würde, sich den letzten Physikversuch noch mal erklären lassen. Es war schon immer so gewesen, oder zumindest fast immer. Spätestens jedenfalls seit sie auf dem Gymnasium war.
    In der Grundschule hatte sie zumindest eine beste Freundin gehabt, Hanna. Die hatte ebenso leicht gelernt wie sie und war genauso vom großen »Wissenwollen« erfasst wie Anne. Hanna und Anne hatten ihre Lehrerin gepiesackt mit ihren Warum-Fragen und jene Frau Berghuber war schlecht damit klargekommen, die beiden wissbegierigen Mädchen in die Klasse zu integrieren. Erst als Hanna nach der zweiten Klasse wegzog, war Anne still geworden. Was vielleicht auch am Tod ihrer Mutter Irene lag, der in dieselbe Zeit fiel. Niemand hatte allzu viel Aufhebens um den Tod der Mutter gemacht. Ihre Mitschüler und auch die Lehrerin wussten nicht, wie sie mit ihr umgehen sollten, und schwiegen einfach. Johann, der Vater, war zu sehr mit seiner eigenen Trauer beschäftigt und die Großmutter von jeher eine kalte, sehr zurückhaltende Frau. Andere, nahestehende Verwandte gab es nicht. Beide Eltern waren Einzelkinder, sowohl Johanns Vater als auch Irenes Eltern waren schon vor einigen Jahren verstorben.
    Seit dieser Zeit jedenfalls hatte sich Anne mehr und mehr in sich selbst zurückgezogen. Sie hatte Freundschaften nicht gesucht und niemand drängte sich ihr auf. Sie inhalierte Bücher wie andere Sauerstoff, sie hatte mit Klavierunterricht angefangen, mit der Zeit aber gemerkt, dass ihr Singen mehr Freude machte. Also hatte sie Gesangsunterricht genommen und ihre Lehrerin war die Einzige gewesen, die sie zu ihren Geburtstagen eingeladen hatte. Mittlerweile sang sie nur noch im Schulchor und kümmerte sich nicht mehr um die Gehässigkeiten der anderen Choristen, die es satthatten, dass jedes Sopran-Solo von Anne

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