Frostherz
war richtig rot geworden und Anne musste schmunzeln.
»Leute in unserem Alter schauen so alten Kram ja sonst weniger«, holte er aus. »Ich dachte, du stehst wie alle auf How I met your mother oder so. Ich finde das damn good mit dir und Twin Peaks, kannst du mir glauben.«
»Wie damn good coffee oder was?« Beide lachten.
Als sie endlich am Klassenzimmer ankamen, war die Tür bereits geschlossen.
»Scheiße – die Klausur!«, entfuhr es Anne. »Sind wir zu spät? Vor lauter Gebabbel, Mist!«
»Still«, sagte Cornelius und riss mit ausholender Geste die Tür auf, hinter der Gerlinde Hausmann gerade damit beschäftigt war, die Geschichtsklausur auszuteilen.
»Guten Morgen«, sagte der schlaksige junge Mann freundlich und Anne versteckte sich bereitwillig hinter seinem Rücken. Die Hausmann zog leicht genervt eine Augenbraue hoch.
»Haben Sie doch die Güte, mitschreiben zu wollen«, empfing sie die Zuspätkommenden. Während sich Anne zu ihrem Platz durchschlängelte, griff Cornelius in seine mehr einem Aktenkoffer ähnelnde Schultasche und zog die neueste Ausgabe der Zeit hervor.
»Frau Hausmann«, sagte Cornelius lächelnd und blätterte in der Zeitung. »Gerade noch habe ich mit der Kollegin Jänisch dieses Dossier hier«, seine Finger tippten auf die Seiten, »zum Thema Weimarer Republik diskutiert – und da haben wir glatt die Zeit vergessen, Sie müssen schon entschuldigen. Aber jetzt gebe ich lieber Ihnen den Artikel, damit Sie uns nicht unterstellen, wir würden abschreiben.« Ob sie wollte oder nicht, die Hausmann musste die Zeitung nehmen, widerstrebend legte sie sie auf ihrem Pult ab.
»Nun gut, dann konzentrieren Sie sich jetzt bitte auf die Aufgaben«, erklärte sie sachlich und setzte sich. Langsam beruhigte sich Annes Herzschlag, während sie die ersten Aufgaben durchlas. Das würde zu schaffen sein.
Nach dem Unterricht wartete Cornelius auf Anne. Ganz selbstverständlich.
»Endlich jemand, mit dem ich über Twin Peaks reden kann. Das muss einfach ein damn good day werden«, sagte er lachend.
»Wie ging’s?«, fragte Anne ihn. Er wackelte vage mit der Hand. Damit war das Thema für ihn beendet. Da sie den nächsten Kurs nicht gemeinsam hatten – Anne hatte Lateinunterricht bei Cornelius’ Vater Hermann Rosen –, verabredeten sie sich zum Mittagessen in der Kantine.
Anne beobachtete Rosen heute viel genauer. Niemand würde darauf kommen, dass er und Cornelius Vater und Sohn waren. Der Vater klein, rundlich, mit großer Goldrandbrille und einem schütteren weißen Haarkranz auf dem Hinterkopf. Meist trug er sandfarbene Anzüge, die einen Kolonialtouch hatten. Als wolle er sich selbst damit an Bangkok erinnern. Obwohl Thailand nie kolonialisiert gewesen war. Bis zur Pensionierung hatte er vielleicht noch vier, fünf Jahre. Zu den Schülern war er erst einmal freundlich, meistens fair, zu den Jungs eher als zu den Mädchen. Doch jeder merkte ziemlich schnell, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Seine seltenen, aber heftigen cholerischen Ausbrüche waren berüchtigt. Immerhin verzieh er meist schnell. Man merkte jedoch, dass er Schüler, über die er sich geärgert hatte, eine Zeit lang sehr genau beobachtete, bevor er sie wieder freundlich behandelte. Anne hatte bisher mit ihm Glück gehabt, was wahrscheinlich auch an ihrer Lateinnote lag. Ihr fiel das Fach leicht, die Grammatik hatte eine klare Struktur, die Vokabeln konnte sie sich schnell einprägen und das Sätze-Enträtseln machte ihr Spaß. Es war nicht ihr Lieblingsfach, aber es war okay. Für die Eins musste sie sich nur wenig anstrengen.
Als sie gegen halb eins in den lichtdurchfluteten Neubau ging, der vor ein paar Jahren an das alte, klassizistische Hauptgebäude des Cäcilien-Gymnasiums gesetzt worden war und in dem sich jetzt die Kantine und die Räume für die naturwissenschaftlichen Fächer befanden, entdeckte sie Cornelius schnell. Er saß am letzten Tisch am Fenster und las in der Zeit, sofern ihn sein Tablett nicht daran hinderte.
»Interessant?«, fragte Anne, als sie sich endlich mit einem dampfenden Teller asiatischer Hühnersuppe zu ihm setzte. Er nickte, schob die Zeitung dann aber beiseite.
»Wie war’s bei meinem Vater?«, fragte er zurück.
Oje. Anne wusste nicht genau, was sie darauf sagen sollte. In welchem Verhältnis Vater und Sohn wohl zueinander standen? »Okay«, sagte sie. »Ich komm gut mit ihm klar. Er ist wenigstens fair und gibt jedem immer wieder eine Chance.«
»Echt?« Cornelius tat
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