Frühe Erzählungen 1893-1912
lagen. Auch ein Kamin war vorhanden, der noch ein wenig geheizt war; auf der schwarzen Steinplatte standen einige Teller mit fein belegtem Butterbrot, Gläser und zwei Karaffen mit Sherry. – Amra lehnte, einen Fuß leicht über den anderen gestellt, in den Kissen der Ottomane, die von der Fächerpalme beschattet ward, und war schön wie eine warme Nacht. Eine Bluse aus heller und ganz leichter Seide umhüllte ihre Büste, ihr Rock aber war aus einem schweren, dunklen und mit großen Blumen gestickten Stoff; hie und da strich sie mit einer Hand die kastanienbraune Haarwelle aus der schmalen Stirn. – Frau Hildebrandt, die Sängerin, saß gleichfalls auf der Ottomane neben ihr; sie hatte rotes Haar und war im Reitkleide. Gegenüber aber den beiden Damen hatten in gedrängtem Halbkreise die Herren Platz genommen – mitten unter ihnen der Rechtsanwalt, der nur einen ganz niedrigen Ledersessel gefunden hatte und sich unsäglich unglücklich ausnahm; dann und wann that er einen schweren Atemzug und schluckte hinunter, als ob er gegen aufsteigende Übelkeit kämpfte … Herr Alfred Läutner im Lawn-Tennis-Anzug, hatte auf einen Stuhl verzichtet und lehnte schmuck und fröhlich am {169} Kamin, weil er behauptete, nicht so lange ruhig sitzen zu können.
Herr Hildebrandt sprach mit wohltönender Stimme über englische Lieder. Er war ein äußerst solid und gut in Schwarz gekleideter Mann mit dickem Cäsarenkopf und sicherem Auftreten – ein Hofschauspieler von Bildung, gediegenen Kenntnissen und geläutertem Geschmack. Er liebte es, in ernsten Gesprächen Ibsen, Zola und Tolstoj zu verurteilen, die ja die gleichen verwerflichen Ziele verfolgten; heute aber war er mit Leutseligkeit bei der geringfügigen Sache.
»Kennen die Herrschaften vielleicht das köstliche Lied ›That’s Maria!‹?« sagte er … »Es ist ein wenig pikant aber von ganz ungemeiner Wirksamkeit. Auch wäre da noch das berühmte –« und er brachte noch einige Lieder in Vorschlag, über die man sich schließlich einigte, und die Frau Hildebrandt singen zu wollen erklärte. – Der junge Maler, ein Herr mit stark abfallenden Schultern und blondem Spitzbart, sollte einen Zauberkünstler parodieren, während Herr Hildebrandt beabsichtigte, berühmte Männer darzustellen … kurz, alles entwickelte sich zum Besten, und das Programm schien bereits fertig gestellt, als Herr Assessor Witznagel, der über coulante Bewegungen und viele Mensur-Narben verfügte, plötzlich aufs neue das Wort ergriff.
»Schön und gut, meine Herrschaften, das alles verspricht in der That unterhaltend zu werden. Allein, ich stehe nicht an, noch eines auszusprechen. Mich dünkt, uns fehlt noch etwas und zwar die Hauptnummer, die Glanznummer, der Clou, der Höhepunkt … etwas ganz Besonderes, ganz Verblüffendes, ein Spaß, der die Heiterkeit auf den Gipfel bringt … kurz, ich stelle anheim, ich habe keinen bestimmten Gedanken; jedoch meinem Gefühle nach …«
»Das ist im Grunde wahr!« ließ Herr Läutner vom Kamine her {170} seine Tenorstimme vernehmen. »Witznagel hat recht. Eine Haupt- und Schlußnummer wäre sehr wünschenswert. Denken wir nach …« Und während er mit einigen raschen Griffen seinen roten Gürtel zurecht schob, blickte er forschend umher. Der Ausdruck seines Gesichtes war wirklich liebenswürdig.
»Je nun«, sagte Herr Hildebrandt; »wenn man die großen Männer nicht als Höhepunkt auffassen will …«
Alle stimmten dem Assessor bei. Eine besonders scherzhafte Hauptnummer sei wünschenswert. Selbst der Rechtsanwalt nickte und sagte leise: »Wahrhaftig – etwas hervorragend Heiteres …« Alle versanken in Nachdenken.
Und am Ende dieser Gesprächspause, die etwa eine Minute dauerte und nur durch kleine Ausrufe des Überlegens unterbrochen ward, geschah das Seltsame. Amra saß in die Kissen der Ottomane zurückgelehnt und nagte flink und eifrig wie eine Maus an dem spitzen Nagel ihres kleinen Fingers, während ihr Gesicht einen ganz eigenartigen Ausdruck zeigte. Ein Lächeln lag um ihren Mund, ein abwesendes und beinahe irres Lächeln, das von einer schmerzlichen und zugleich grausamen Lüsternheit redete, und ihre Augen, welche ganz weit geöffnet und ganz blank waren, schweiften langsam zum Kamin hinüber, wo sie für eine Sekunde in dem Blicke des jungen Musikers hängen blieben. Dann aber, mit einem Ruck, schob sie den ganzen Oberkörper zur Seite, ihrem Gatten, dem Rechtsanwalte, entgegen, und während sie ihm, beide Hände im
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