Frühe Erzählungen 1893-1912
wir beide die Pension verlassen, uns einander in unseren Wohnungen besuchten, dennoch stand oftmals etwas zwischen uns, was der erhabenen Kälte unseres eigenartigen Verhältnisses dreimal fremd hätte sein sollen … stand zwischen uns, gerade dann, wenn unsere Seelen ihre letzten und keuschesten Geheimnisse vor einander enthüllten, unsere Geister an der Lösung ihrer subtilsten Rätsel arbeiteten, wenn das »Sie«, das in minder gehobenen Stunden unsere Anrede blieb, einem makellosen »Du« wich … ein übler Reiz lag dabei in der Luft, verunreinigte sie und behinderte mir die Atmung … Sie schien nichts davon zu verspüren. Ihre Stärke und Freiheit war so groß! Ich aber empfand es und litt darunter.
So, und empfindlicher als jemals, war es eines Abends, als wir zusammen in psychologischem Gespräche auf meinem Zimmer saßen. Sie hatte bei mir gegessen; bis auf den Rotwein, dem zuzusprechen wir fortfuhren, war der runde Tisch abgeräumt, und die vollständig ungalante Situation, in der wir unsere Cigaretten rauchten, war bezeichnend für unser Verhältnis: Dunja Stegemann saß aufrecht am Tische, während ich, das Gesicht derselben Richtung zugewandt, halb liegend auf der Chaiselongue ruhte. – Unser bohrendes, zerlegendes und radikal offenherziges Gespräch, das sich mit den Seelenzuständen beschäftigte, welche die Liebe beim Mann und beim Weibe bewirkt, nahm seinen Fortgang. Ich aber war nicht ruhig, nicht frei und vielleicht ungewöhnlich reizbar, da ich stark getrunken hatte. Jenes Etwas war zugegen … jener üble Reiz lag in der Luft und verunreinigte sie in einer Weise, die mir immer unerträglicher wurde. Das Bedürfnis, gleichsam ein Fenster auf {207} zustoßen, indem ich endlich einmal ausdrücklich mit einem geraden und brutalen Worte das unberechtigt Beunruhigende für jetzt und immer ins Reich der Nichtigkeit verwies, nahm mich ganz in Anspruch. Was ich auszusprechen beschloß, war nicht stärker und ehrlicher, als vieles andere, was wir einander ausgesprochen hatten, und mußte einmal erledigt werden. Mein Gott, für Rücksichten der Höflichkeit und Galanterie würde sie mir am wenigsten Dank wissen …
»Hören Sie«, sagte ich, indem ich die Knie emporzog und ein Bein über das andere legte, »was ich noch immer festzustellen vergaß. Weißt du, was für mich unserem Verhältnis den originellsten und feinsten Charme giebt? Es ist die intime Vertrautheit unserer Geister, die mir unentbehrlich geworden ist, im Gegensatze zu der prononcierten Abneigung, die ich körperlich dir gegenüber empfinde.«
Stillschweigen. – »Ja, ja«, sagte sie dann, »das ist amüsant.« Und damit war dieser Einwurf abgethan, und unser Gespräch über die Liebe ward wieder aufgenommen. Ich atmete auf dabei. Das Fenster war geöffnet. Die Klarheit, Reinlichkeit und Sicherheit der Lage war hergestellt, wie es ohne Zweifel auch ihr Bedürfnis gewesen. Wir rauchten und sprachen.
»Und dann das Eine«, sagte sie plötzlich, »das einmal zwischen uns zur Sprache kommen muß … Du weißt nämlich nicht, daß ich einmal ein Liebesverhältnis gehabt habe.«
Ich wandte den Kopf nach ihr und starrte sie fassungslos an. Sie saß aufrecht, ganz ruhig, und bewegte die Hand, in der sie die Cigarette hielt, ein wenig auf dem Tische hin und her. Ihr Mund hatte sich leicht geöffnet, und ihre hellgrünen Augen blickten unbeweglich geradeaus. Ich rief:
»Du? … Sie? … Ein platonisches?«
»Nein; ein … ernstes.«
»Wo … wann … mit wem?!«
{208} »In Frankfurt am Main, vor einem Jahre, mit einem Bankbeamten, einem noch jungen, sehr schönen Manne … Ich fühlte das Bedürfnis, es dir einmal zu sagen … Es ist mir lieb, daß du es nun weißt. – Oder bin ich in deiner Achtung gesunken?«
Ich lachte, streckte mich wieder aus und trommelte mit den Fingern neben mir an der Wand.
»Wahrscheinlich!« sagte ich mit großartiger Ironie. Ich blickte sie nicht mehr an, sondern hielt das Gesicht nach der Wand gedreht und sah meinen trommelnden Fingern zu. Mit einem Schlage hatte sich die eben noch gereinigte Atmosphäre so verdickt, daß das Blut mir zu Kopfe stieg und meine Augen trübte … Dieses Weib hatte sich lieben lassen. Ihr Körper war von einem Manne umfangen worden. Ohne mein Gesicht von der Wand zu wenden, ließ ich meine Phantasie diesen Körper entkleiden und fand einen abstoßenden Reiz an ihm. Ich goß noch ein – das wievielte? – Glas Rotwein hinunter. Stillschweigen.
»Ja«,
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