Frühling, Freunde, freche Fohlen
„Wird ja diesmal eine Mammutveranstaltung. Und lauter große Namen! Von uns gehen fast ein Dutzend Reiter mit. Schade, daß wir keinen Reiter für Dukat haben, aber Carl-Anton ist noch lange nicht soweit. Eine L-Dressur könnte der Hengst ohne weiteres gewinnen.“
„Daddy möchte, daß ich San Pietro reite. Er ist in ausgezeichneter Form, wenn er so weitermacht, wird er bald alle überflügeln. Auch Black Arrow ist im letzten halben Jahr noch um einiges besser geworden. Ich bin sehr gespannt auf diese Saison. So gut vorbereitet war ich noch nie.“
„Das ist wahr.“ Ignaz der Schreckliche legte ihr lächelnd den Arm um die Schultern. „Allerdings solltest du für meinen Geschmack ein bißchen mehr essen und schlafen, sonst könnte es nämlich sein, daß du die Saison gar nicht durchstehst.“
„Ach das...“, winkte Bille ab.
„Nein, Bille, unterschätz es nicht! Auch das ist ein Teil der Selbstdisziplin, die ein Reiter braucht. Wo soll denn die Kraft herkommen, wenn du dich selber vernachlässigst und ständig Raubbau mit deinen Reserven treibst! Liebeskummer, gut und schön, aber man straft die Männer nicht dadurch, daß man sich selbst zugrunde richtet!“
„Liebeskummer?“ Bille wurde feuerrot.
Ignaz der Schreckliche lachte gutmütig.
„Glaubst du, dein alter Lehrer ist blind? Ich weiß doch, was los ist. Aber überleg mal, wenn es gilt, eine so ernstzunehmende Konkurrentin aus dem Felde zu schlagen, dann doch nur, indem man zeigt, was in einem steckt, oder? Als Trauerkloß vom Dienst wirst du da wenig erreichen.“
„Wer sagt, daß ich etwas erreichen will? Ich muß mich eben damit abfinden, das ist alles.“
„Quatsch!“ sagte Ignaz der Schreckliche.
Im ersten Augenblick hatte Bille nur resigniert mit den Achseln gezuckt, aber dann begann sie über die Worte ihres Lehrers nachzudenken. Eigentlich hatte er recht. Diese Karla war ein Supermädchen, und sie hatte sich offensichtlich bis über beide Ohren in Simon verliebt. Inwieweit das auf Gegenseitigkeit beruhte, war schwer zu beurteilen, aber eines schien klar: Karla bewunderte Simon wegen seiner Erfolge als Reiter. Und Simon versuchte instinktiv, auf Karla als Reiter Eindruck zu machen. Vielleicht schmeichelte es ihm, von einem so attraktiven und verwöhnten Mädchen bewundert zu werden. Da gab es nur eins: Bille mußte dieser Karla zeigen, daß sie ebenbürtig war. Wenn sie auch nicht besser war als Simon, schlechter war sie auf keinen Fall. Nicht nach diesen Monaten intensiven Trainings!
Von nun an bereitete sich Bille systematisch auf das erste Turnier dieses Jahres vor. Nicht nur ihre Pferde, vor allem sich selbst. Sie schlief viel, vertilgte ungeheure Mengen von Salat, Obst, Honig, Milch und allem, von dem sie glaubte, daß es ihre Kondition verbessern könne. Statt morgens mit Zottel nach Groß-Willmsdorf hinüberzureiten, joggte sie. Sie ließ sich von Onkel Paul — der sich freute, sie so aktiv zu sehen — nach Leesten in die Sauna und zur Massage fahren und überredete Tom, zweimal wöchentlich mit Bettina und ihr ins Schwimmbad zu gehen.
Als der Tag des Turniers herankam, sah Bille aus, als hätte sie sechs Wochen Kuraufenthalt am Meer hinter sich. Auf der Straße drehten sich die jungen Männer nach ihr um, und im Internat überboten sich die Mitschüler an Hilfsbereitschaft und Liebenswürdigkeit. Noch nie hatte man ihr so oft die Tür aufgehalten, Bonbons oder Schokolade angeboten oder heruntergefallene Hefte aufgehoben. Schlug sie in der Studierstunde ihre Bücher auf, lagen Liebesgedichte oder anonyme Briefe darin, in denen ihr Lob gesungen wurde, und ging sie in den Stall, rannte sicher jemand hinter ihr her, der Äpfel oder Zuckerstücke für ihre Pferde aufgespart hatte oder seine Hilfe beim Putzen anbot.
Für Simon war dies alles ein Beweis seiner schlimmsten Vermutungen: Wer so blühend aussah, konnte nur frisch verliebt sein! Zwar hatte er keine Ahnung, wer der Glückliche war, aber das Internat verfügte über eine ganze Reihe gutaussehender und begabter Jungen. Ja, nicht nur das, auch unter den Lehrern gab es mindestens zwei, die das Herz eines Mädchens höher schlagen lassen konnten.
Das Turnier in Neukirchen begann am Freitag. Auf dem Lehrplan der jungen Reiter stand für den Donnerstag das Herrichten eines Turnierpferds. In langer Reihe waren die Schulpferde draußen vor dem Stall angebunden, und überall mühten sich mehr oder weniger geschickte Hände mit dem Einflechten der Mähnen und dem Verziehen
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