595 Stunden Nachspielzeit - Humorvoller Roman (German Edition)
Prolog
Schlaftrunken öffne ich die Augen. Durch die Ritzen des Rollladens dringt Licht, ich höre das Zuschlagen einer Autotür, kurz darauf das Starten eines Motors. Als ich mich umdrehe, vernehme ich einen Morgengruß. Gähnend werfe ich einen Blick auf den Wecker. Vermutlich lohnt es sich nicht mehr, wieder einzuschlafen. Die blinkende, rote Anzeige signalisiert mir, dass es zehn Minuten nach zwei ist.
Also lohnt es sich ja doch.
Bevor ich einnicke, wundere ich mich wegen der Helligkeit im Zimmer. Um diese Uhrzeit müsste es stockdunkel sein. Dann erinnere ich mich an die morgendliche Begrüßung. Welcher Spinner ruft um zehn nach zwei nachts ›Guten Morgen‹?
Und außerdem: Warum blinkt mein Radiowecker?
Die Informationen verdichten sich in meinem Gehirn zu einem unangenehmen Resultat.
»Verdammt!«
Mit einem Mal hellwach schlage ich die Bettdecke beiseite und stehe hektisch auf. Ich sprinte ins Badezimmer, wo eine batteriebetriebene Uhr an der Wand hängt. Schonungslos offenbart sie mir die wahre Zeit: 7.59.
»Verfluchter Mist!«
Um neun habe ich einen Lesetermin in einer Schule. Für den Weg dorthin bräuchte man normalerweise eine Dreiviertelstunde, wenn er nicht über mehrere stauanfällige Autobahnen führen würde. Um diese Uhrzeit benötige ich bestimmt doppelt so lange und müsste bereits seit einer halben Stunde im Auto sitzen.
Ich entledige mich des Schlafanzugoberteils, verreibe Wasser unter die Achselhöhlen und wische mit einem Handtuch drüber. Die mangelhafte Körperpflege kompensiere ich mit überdurchschnittlichem Deoeinsatz. Danach renne ich in die Küche, in der die ebenfalls blinkende Mikrowellenuhr meine Mutmaßung bezüglich eines nächtlichen Stromausfalls bestätigt. Weil sich mein Kopf bei Koffeinentzug rasch in ein dumpf pochendes Folterinstrument verwandelt, starte ich den Kaffeeautomaten. Während die Maschine vorheizt, eile ich ins Schlafzimmer und ziehe mich an. Zurück im Bad beseitige ich mit der Zahnbürste den schalen Geschmack im Mund. Zuletzt begebe ich mich noch einmal in die Küche, stelle eine Kaffeetasse bereit, drücke den Startknopf und nutze die folgenden vierundzwanzig Sekunden, um dem Kühlschrank die Toastpackung zu entnehmen. Ich hole einen einzelnen Toast heraus, den ich trocken hinunterwürge. Hauptsächlich dürstet es mich ohnehin nach Kaffee. Hastig blase ich in die Tasse, trotzdem verbrenne ich mir beim ersten Schluck die Zunge.
»Autsch!«
Weiteres Pusten, der nächste Schluck ist erträglich. Kurz darauf spüre ich den Koffeinschub. Achtlos stelle ich das Porzellangefäß in die Spüle, das Brot bleibt auf dem Tisch liegen.
Um zehn nach acht öffne ich die Wohnungstür. Glücklicherweise habe ich gestern Abend die Bücherboxen im Wagen gelassen und muss mich nun nicht mit ihnen abplagen.
Ausgerechnet jetzt läuft die Wagner die Treppe hinunter, nachdem wir erst am Vortag wegen ihres Kindes aneinandergeraten sind.
»Morgen!«, brummt sie mürrisch.
Hektisch drängle ich mich an ihr vorbei.
»Hey«, beschwert sie sich, als ich sie versehentlich anremple.
»Hab’s eilig!«, verteidige ich mich und verlasse das Haus, ohne ihr die Tür aufzuhalten.
»Was für ein Gentleman!«, ruft sie mir hinterher. »Aber meinen Sohn verhaltensgestört nennen.«
Ich sprinte zu meinem Pkw, der immerhin sofort anspringt. Für die Strecke stehen mir achtundvierzig Minuten zur Verfügung.
»Sei bitte auf meiner Seite«, flehe ich das Schicksal an und ignoriere die stechenden Brustschmerzen ebenso wie die Kurzatmigkeit.
Eine Viertelstunde später lande ich bei der Zufahrt zur zweiten Autobahn im Stau.
»Das kann nicht wahr sein!«, fluche ich. Die anderen Verkehrsteilnehmer zeichnen sich zu allem Überfluss durch besondere Unfähigkeit aus; meinem Vordermann reicht ein drei Wagenlängen großer Raum nicht zum Einfädeln aus. Dass er einen altmodischen Hut trägt, erklärt seinen Fahrstil. Statt seiner nutze ich die Gelegenheit, was der Hintermann mit einem Hupton quittiert.
»Schnauze!«, brülle ich.
Der Verkehr kommt fast vollständig zum Erliegen. Am zügigsten geht es auf der linken Spur voran, allerdings muss ich demnächst erneut die Autobahn wechseln.
Nun zwängt sich der Hutträger doch noch vor mich, ich steige in die Bremsen und hupe meinerseits. Schwarze Flecken tanzen wie ein Mückenschwarm vor meinen Augen. Ich blinzle, ohne dass sie verschwinden.
Da man auch in der Mitte schneller vorankommt, ziehe ich rüber. Als ich mich kurz darauf
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