Fucking Berlin
und machte Hausaufgaben und schlief ständig am Schreibtisch ein.
Alle meine Kommilitonen zeigten Verständnis für mich, und schickten mir per E-Mail die Notizen aus den Vorlesungen. Trotzdem war mir klar, dass ich auf diese Weise keine einzige Prüfung schaffen und auch noch total pleitegehen würde.
Wenn mein Sohn schlief, telefonierte ich herum, um so rasch wie möglich einen Krippenplatz für ihn zu bekommen, was aber auf die Schnelle unmöglich war. Man brauchte dafür einen Kita-Gutschein vom Bezirksamt, den allerdings bekam man erst nach zwei Monaten Bearbeitungszeit – dass dies ein Notfall war, schien niemanden zu interessieren.
»In zwei Monaten ist das Sommersemester zu Ende.
Wenn ich da jetzt nichts belegen kann, habe ich ein halbes Jahr meines Lebens verplempert«, schilderte ich meine Situation aufgeregt einer Beamtin beim Bezirksamt, die mich teilnahmslos ansah.
»Ich verstehe Ihre Sorgen, aber ich kann nichts machen. Wir haben hier hundert Anträge pro Woche zu bearbeiten, schneller geht es nicht«, erklärte sie mir so langsam und deutlich, als ob ich eine Irre wäre. Ich verließ das Amt und ging nach Hause, den Kinderwagen vor mir herschiebend.
Nach drei Tagen Abwesenheit klingelte Ladja an der Tür. Seine Klamotten waren dreckig, an seinen Schuhen klebte Matsch und seine Augen waren rot. Wie er mir später erzählte, hatte er in einer Bruchbude geschlafen, deren Hauptmieter ein Drogenabhängiger war, der gerade ein paar Monate wegen Rauschgifthandels im Knast verbrachte. »Ich will meine Familie nicht verlieren«, schluchzte er und warf sich vor meine Füße. Hätte ich ihn nicht so gut gekannt, hätte er mir leidgetan.
»Schmeiß deine Sachen in die Waschmaschine, die stinken nämlich«, sagte ich kühl, zog Fynn an und verließ mit ihm die Wohnung.
Im Frühling bekam ich eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bei einer IT -Security-Firma, bei der ich mich um einen Praktikumsplatz beworben hatte, für den es sogar Kohle geben sollte. Den Tipp hatte ich von einem unscheinbaren Studenten bekommen, der mit mir in einem Finanzmathematik-Kurs saß und für mich seine Notizen kopierte, wenn ich mal wieder nicht da war. Nervös bügelte ich den einzigen Anzug, den ich besaß – es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich um einen seriösen Job bewarb, abgesehen von Call-Centern und Restaurants, wo ich immer nur kurz gearbeitet hatte.
Der Chef des Unternehmens war ein großer, schlanker Mann Mitte vierzig, mit grauem Haar und hoher Stirn. Er trug ein T-Shirt und eine Jeans und schien weder steif noch eingebildet. Er stellte mir ein paar Fragen zu meinem Studium, den Informatik-Kursen, die ich schon belegt hatte, und meinem Lebenslauf, die ich allesamt erstaunlich locker und überzeugend beantworten konnte. Ich fühlte mich in dem Büro mit zunehmender Dauer des Gesprächs so wohl, dass ich die Beine übereinanderschlug und mich zurücklehnte wie bei einem Gespräch mit einem Bekannten.
»Ich denke, wir kommen zusammen«, sagte er am Ende lächelnd.
Auf der Straße fühlte ich mich trotz des Business-Outfits unglaublich leicht und unbeschwert. Ich wusste, dass dieser wenn auch noch so kleine Job die einzige Chance war, langfristig aus dem Bordell-Business wegzukommen, und erinnerte mich an die Worte von Torsten, dem alten Chef der »Oase«: Eine von Tausenden schaffe den Absprung, hatte er gesagt – vielleicht war es jetzt endlich so weit.
Anfang Juli fand ich im Briefkasten einen Brief von der Firma – mit einem Vertrag, den ich unterschrieben zurückschicken sollte. Vor Freude tanzte ich durchs Wohnzimmer, mit Fynn in den Armen, der die ganze Zeit lachte, das unwissende und sorglose Lachen eines elf Monate alten Babys.
Um das Wesentliche musste ich mich natürlich alleine kümmern. Nachdem ich einen ganzen Nachmittag beim Bezirksamt verbracht hatte, bekam ich endlich einen Kita-Platz für Fynn und war darüber erleichtert, denn in einer öffentlichen Einrichtung war er besser aufgehoben als bei seinem ständig bekifften Vater.
Während der ersten Praktikumswoche hatte ich das Gefühl, ein anderer Mensch geworden zu sein. Frühmorgens verließ ich die Wohnung, brachte Fynn in die Kita, setztemich mit einer dampfenden Kaffeetasse an meinen Schreibtisch und erledigte meine Aufträge. Die Kollegen gingen nett und kumpelhaft mit mir um und zum ersten Mal seit Jahren spielte Sex bei der Arbeit keine Rolle, stattdessen sprach man über Fachthemen oder in der Mittagspause
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