Für hier oder zum Mitnehmen?
so kann ich nicht wissen, ob er kniet oder hockt. Ich vermute, dass er telefoniert, und will ihn nicht stören. Während ich denke, dass Fred das Mobiltelefon wahrscheinlich irgendwo geklaut hat, bemerke ich, dass sein Dialog mit dem Automobil stattfindet. Sein Ohr wendet er dem Kühlergrill zu, um besser hören zu können. Kraftfahrzeuge werden schon immer so gestaltet, dass ihre Front etwas Gesichthaftes hat. Mindestens Augen und Mund sind meist klar definiert. Fred hat die Grenze der Identifikation überschritten. Er erhebt die Symbolik zur Realität. So, wie es ihm gerade passt.
Ich kann nicht alles verstehen, was er sagt, er wartet stets geduldig die Antwort des Wagens ab und bestätigt den Empfang durch Lachen. Eine gespenstische Situation, ein Schauer überkommt mich. Ich trete an ihn heran.
»Die große Reise findet im Innern statt«, sagt er zum Kühlergrill des Wagens und wartet, um zu erwidern: »Ja, da gebe ich dir recht. Aber der Verstand bedeutet immer nur Chaos, immer Polarität …«
»Fred!«, unterbreche ich die beiden, fasse ihn an der Schulter, er schaut mich an, er sieht verrückt, aber glücklich aus. Er nickt mir zu, als ob ich nicht sähe, dass er sich in einem Gespräch befinde und ich kurz warten solle mit meinem Anliegen, bis er fertig sei. Er hört weiterhin darauf, was der Wagen zu sagen hat. Ich versuche noch ein paarmal zu ihm durchzudringen, ohne Erfolg. Ich gebe auf, er wird schon zurechtkommen. Bis hierhin hat er es auch ganz gut ohne mich geschafft. Er ist entglitten, in seine Realität, die mir gar nicht so abwegig erscheinen will.
Mit Riesenmilena über meinem Kopf, Yildiz Grill-Bistro im Rücken und Fred zu meinen Füßen, genehmige ich mir einen Blick auf meine Realität auf der anderen Straßenseite.
Mein Café ist hell erleuchtet, in mehr als der Hälfte der Fenster sind Gäste zu sehen. Es sieht nicht leer aus. Der Beweis, dass der Laden laufen kann, ist erbracht. In Gänze reicht der Umsatz noch nicht aus, aber die Tendenz ist eindeutig steigend. Den dicken Brief unseres Stromlieferanten mit der Jahresabrechnung hatte ich einige Tage erfolgreich ungeöffnet im Lüftungsraum vergraben, bis ich mich stark genug fühlte, ihn zu öffnen. Wie geahnt, fordert er eine hohe Nachzahlung und bietet mir gleich die Möglichkeit einer Ratenzahlung an. Die neuen monatlichen Abschläge sind ab sofort unangenehm hoch.
Andererseits will der größte Erfrischungsgetränkehersteller der Welt seine Produkte um jeden Preis in meinem Café platzieren. Viele Möglichkeiten der Gastakquise sind noch unausgeschöpft, die Dinge benötigen eben doch ihre Zeit. Klamotte hat recht. Ich muss kämpfen, durchhalten und keine Angst haben. Es wird schon irgendwie werden.
Mein Café sieht in der Dunkelheit richtig gut aus. Gäste stehen ihm. Die Ausleuchtung ist gelungen. Vielleicht hat Aurinia tatsächlich einen Fluch aufgelöst. Im Schankvorgarten sitzt Magnus, neben ihm auf einem Stuhl Dörte, das alte klapprige Überbleibsel aus Florians Münchner Ehe. Wieder und wieder umarmt und liebkost Magnus sie. Florian und Kaja sitzen im ersten Stock in einem der Fenster und sprechen aufgeregt miteinander, sie flirten. Herr Reinhardts stiehlt sich die große Holztreppe nach oben, blickt sich immer wieder um und verschwindet in den Toiletten. Shanti bringt eine Suppe aus der Küche, der Teller ist dermaßen voll, dass er ihn vorsichtig bis zum Gast balancieren muss. Einige Gäste stehen am Tresen und würden wohl auch etwas bestellen, wenn sie könnten, aber Milena telefoniert und lässt sie warten. Wie viel Umsatz habe ich durch Milenas Unaufmerksamkeit wohl schon verloren? Sie beendet das Telefonat, um gleich wieder eine Nummer zu wählen, noch nicht einmal einen Hinweis gibt sie den Gästen, dass sie gleich bei ihnen sein wird. Das lasse ich mir nicht mehr gefallen, ich werde dem Ganzen nun endgültig ein Ende setzen. Auf gemeinsam verbrachte Nächte kann ich keine Rücksicht mehr nehmen.
Fest entschlossen setze ich mich in Bewegung, schaue noch einmal nach Fred, der immer noch in tiefe Konversation versunken ist. Meine Schritte werden durch das Vibrieren meines Mobiltelefons in der Hosentasche gebremst. Das Display zeigt Milenas Nummer an. Ich bleibe stehen, meine Augen auf Milena im Café gerichtet, während ich das Gespräch annehme.
»Gut, dass ich dich erreiche. Wo bist du überhaupt?«
Ich sehe, dass sie sich mit der flachen Hand gestresst an die Stirn fasst.
»Ich musste etwas Dringendes
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