Für immer zwischen Schatten und Licht ("Schatten und Licht"-Saga 2) (German Edition)
1. Kapitel
Alle anderen Menschen im Raum schienen in den Hintergrund zu rücken, während sich die beiden mit Blicken maßen. Die Luft zwischen ihnen flimmerte förmlich, aufgeladen von Gefühlen, deren sie sich selbst noch kaum bewusst waren. Erst als sich der melancholische Klang einer Geige über das Stimmengewirr erhob, ließ die junge Frau ihr Gegenüber aus den Augen und neigte den Kopf. Dann traten sie aufeinander zu, und die Spannung wurde beinahe greifbar. Gleich würde es geschehen, gleich …
Neben mir stand Rasmus auf.
„Halt, wo willst du hin?“, fragte ich alarmiert.
„Mir was zu essen holen.“
„Aber du kannst jetzt nicht weg! Hast du denn nicht gemerkt, wie intensiv die Musik gerade klingt?“
„Weißt du, was auch ganz intensiv klingt?“, fragte Rasmus zurück.
„Was?“
„Das Knurren meines Magens“, antwortete er trocken und machte Anstalten, sich vom Sofa zu entfernen.
Ich packte ihn am Saum seines T-Shirts, um ihn wieder an meine Seite zu ziehen. „Aber die Szene ist unglaublich wichtig!“
„Die tanzen alleine in einem leeren Ballsaal herum. Das sieht nicht wichtig aus, sondern eher ein bisschen jämmerlich.“
„Das scheint doch nur so, weil Elizabeth und Mr. Darcy ihre Umgebung vollkommen vergessen haben. Der Saal ist gar nicht wirklich leer“, erklärte ich, empört über diese Herzlosigkeit.
„Aha. Aber weißt du, was wirklich leer ist?“
„Dein Magen?“, riet ich missmutig, und schon hatte sich Rasmus aus meinem Griff befreit. Er verschwand für eine Weile auf Futtersuche in der Kochnische, und ich schaltete den Film lauter, um das Rumoren zu übertönen. Dass sein Apartment (vom Badezimmer einmal abgesehen) praktisch nur aus einem einzigen Raum bestand, schien Rasmus nicht weiter zu stören. Schließlich war ihm das aus seiner Zeit im Aussichtsturm vertraut. Die Miete für eine größere Wohnung hätte er sich auch gar nicht leisten können, obwohl er mittlerweile fünf Tage die Woche als Nachhilfelehrer arbeitete. Es war ihm allerdings gelungen, die Schäbigkeit des Zimmers weitgehend zu verdecken, indem er die Wände neu gestrichen und mit Filmplakaten beklebt hatte. Außerdem hatte er aus stufenförmig übereinander genagelten Obstkisten ein schickes Bücherregal gebaut, um das ich ihn insgeheim ein bisschen beneidete. Trotzdem vermisste ich sein altes Zuhause mit den Literaturzitaten auf dem Fußboden und dem Fenster zum Sternenhimmel, doch immerhin kam er hier in den Genuss von Strom und fließendem Warmwasser, und ich konnte ihn bequem mit dem Bus erreichen.
Als Rasmus sich wieder neben mich aufs Sofa plumpsen ließ, hatte er eine Riesenpackung Kekse dabei. „Ich verstehe ehrlich nicht, worüber du dich so aufregst“, verkündete er und öffnete den blauen Karton. „Ich habe doch nichts gegen das Buch gesagt – tatsächlich war ich einer der wenigen da oben, die sein Erscheinen positiv aufgenommen haben.“
„Du hast Pride and Prejudice im Jahre 1813 gelesen?“, fragte ich fassungslos, aber Rasmus zuckte nur mit den Achseln. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, während Elizabeth und Mr. Darcy einander umkreisten. Wenn ich ihn so sah, wie er Oreos auseinandernahm und die Hälften einzeln verspeiste, konnte ich kaum glauben, wie alt mein Freund war – obwohl alterslos es vermutlich besser traf. Noch immer lief mir ein Schauer über den Rücken, wenn ich daran dachte, dass er bis vor fünf Monaten strenggenommen kein Mensch gewesen war.
„Ich bin einfach entsetzt darüber, dass dich der Film kalt lässt“, sagte ich jetzt vorwurfsvoll. „Er ist doch zu gut, um wahr zu sein. Die Schauspieler, die Kostüme und die Musik – das alles ist so schön, dass man nur noch heulen könnte!“
„Damit ich dich richtig verstehe: Du möchtest, dass ich jetzt, während ich hier neben dir sitze und Kekse esse, zu heulen anfange?“
Bei der Vorstellung eines vor Rührung schluchzenden Rasmus musste ich gegen meinen Willen lächeln, aber ich war noch nicht bereit, aufzugeben. „Ich finde es unsinnig, dass alle immer so tun, als wäre das ein reiner Mädchenfilm. Sam zum Beispiel hat …“ Ich brach ab.
Sofort ließ Rasmus seine Kekse Kekse sein und beugte sich zu mir herüber. „Hey“, sagte er und blickte mir aufmerksam ins Gesicht. „Alles in Ordnung?“
Ich nickte kurz. „Schon gut. Irgendwie vergesse ich immer wieder, was damals passiert ist. Ich weiß, das ist verrückt …“
„Überhaupt nicht, Samael war ja dein Freund. Aber
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