Galgeninsel
Fahrradkette zu entgehen. Er stellte ihm eine Frage und Gommert plapperte los wie ein Wasserfall.
Es war bereits stockdunkel, als er zu Hause ankam. Im Arbeitszimmer von Marja brannte noch Licht. Er holte ein Meckatzer aus der Küche, schenkte es ein und ging seine Frau besuchen. Sie war gerade mit der Übersetzung eines technischen Handbuches beschäftigt. Schielin erläuterte ihr den Stand der Dinge mittels einiger fragmentarischer Berichte. Dann ging er hinunter, setzte sich in seinen Sessel, legte Carlos Kleiber auf und lauschte mehrmals dem zweiten Satz von Beethovens Siebter. Genau die gab ihm die Stimmungsgrundlage, die er noch einige Stunden brauchen würde, um seinen Ahnungen folgen zu können.
Mit der Taschenlampe machte er sich später auf den Weg hinüber zur Weide. Wenigstens einmal tätscheln wollte er seinen stummen Leidensgenossen. Natürlich litt Ronsard keineswegs. Aber er konnte so schauen, und gerade im Licht der Taschenlampe gab er ein besonders trauriges Bild ab. Wenigstens hat Derdes ihn noch nicht zum Psychologen schaffen lassen, dachte Schielin, setzte sich nieder, fühlte kühles Gras und begann zu denken.
Zwei gute Stunden blieb er hinten an der Weide. Die Schwärze der Nacht war nicht von der Tiefe, um Ronsard und die Friesen verschwinden zu lassen. Sie hoben sich selbst im Dunkel noch als dunklere Umrisse ab. Ronsard war nahe an den Zaun gekommen, verharrte eine Weile regungslos bevor er sich mit lautem Stöhnen niederlegte. Schielin fuhr nach Hause und setzte seine nächtliche Arbeit in der Küche fort. Er bewegte sich leise und versuchte nicht mit dem Geschirr zu klappern, als er begann Tee zu kochen. Für besondere Momente, und diesen ordnete er als solchen ein, hatte Marja plein lune im Haus – auch wenn heute nicht viel zu sehen war vom Gevatter Mond. Schließlich, es war gegen halb drei in der Früh, machte er sich auf zur Dienststelle. Die Straßen waren verlassen, es war still und selbst der Wind war ermattet. In dem kurzen Moment, den er vor dem Auto stand und in die Dunkelheit lauschte, meinte er das Rauschen vom See her zu hören und war kurz davor, Erinnerungen an lange Nächte am See hervorzurufen. Der kurze, sentimentale Anflug war schnell vorüber.
Immer wieder war es befremdend, bei Nacht die Räume aufzusuchen, in denen man sich tagsüber wie selbstverständlich bewegte. Es kam ihm vor, als würden Räume in der Nacht ihr Wesen verändern. Vielleicht lag ein Grund darin, dass man sie in der Nacht hören konnte. Hören konnte wie es in Wänden und Decken knackte, knarrte, wie ein Summen zu vernehmen war, ohne dass sich die Quelle ergründen ließ. Bis man an sich und seinem Hörorgan zu zweifeln begann. Schielin bewegte sich bedächtig und scheute fast davor zurück, in seinem Büro Licht zu machen. Es ging aber nicht ohne. Er fuhr den PC hoch und gab Benutzernamen und Kennwort an.
Es dauerte. Bis heute verstand er nicht, was mit den beiden mickrigen Buchstaben und Zahlenreihen passierte, wenn er die Returntaste drückte. Gommert hatte einmal versucht ihm das zu erklären, landete aber wieder mal bei einer seiner versteckten Leidenschaften – dem Konstruieren von Verschwörungen – und wie immer bei solchen Ausflügen, bei den Amerikanern und der CIA. Die trugen jedoch nach Schielins Meinung die wenigste Verantwortung für die mangelnde Spritzigkeit seines Computers. Während seine Daten mehrfach um den Erdball geschickt wurden, machte er sich auf in den Speicher und durchforstete Schränke, deren Einlegeböden sich unter Aktenlast und der Schwere der dokumentierten Verbrechen bogen.
Eigentlich hätte es diese Akten hier gar nicht mehr geben dürfen. Doch wem schadete ihre staubige Existenz schon und vor allem – wem wurde dadurch Unrecht getan? Vier Ordner suchte er heraus, blies kräftig, um die erste Staubschicht zu entfernen.
Wieder im Büro, kontrollierte er den Stand des Anmeldevorgangs und las am Bildschirm, dass sein Profil geladen würde. Er lachte bitter und tobte innerlich. Wollte gar nicht wissen, was der Schrott gekostet hatte, mit dem er hier arbeiten musste. Man war in der Lage, in Sekunden Internetseiten gleich wo auf der Welt anzusehen, und die Kiste hier brauchte eine Viertelstunde um sein Profil zu laden. Es musste ein gewaltiges Profil sein.
Er legte die alten Akten zur Seite und machte sich über die Unterlagen, die ihm Funk gegeben hatte. Er notierte Jahreszahlen und Monate auf einem Notizblock. Der Grund ihrer Ermittlungen war
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