Galileis Freundin (German Edition)
Gott, mein Sohn", entfuhr es ängstlich aus des Grafen Mund, als der Medikus verstärkt an dem Neugeborenen zog, bis endlich aus dem engen Geschlecht der Mutter das ganze Kind e r schien.
"Was heißt denn Sohn?" rief der Medikus, "ein Mädchen ist es, eine Tochter habt ihr."
Das Kind zeigte keine Spur des Lebens. Um den kleinen Hals hatte sich die Nabelschnur grä s slich wie der Strick des Henkers gelegt und ihn gewürgt. Der schwarze Todesmantel hing längst über de m winzigen Körper, um den noch die Fruchtblase gewickelt war, das Zeichen für die Nanini, einer ‘Vestita’, einer bekleidet Geborenen. Der Medikus schnitt die Nabelschur durch und trennte mit einer Schere die Fruchtblase. Schlaff hingen Arme und Beine des Mädchens herab. Ve r klebte Augenlider gaben niemandem Hoffnung.
Die erschöpfte Mutter hatte ihre gequälten Augen verriegelt, dem Vater rannen Tränen über die Wangen. Nanini murmelte Unverständliches. Der Medikus war ärgerlich.
Aus Gewohnheit wusch er das Neugeborene. Er lauschte mit seinem Hörrohr an der Brust des Kindes mit der Absicht, den Tod medizinisch zu belegen. Ein Geräusch vernahm er da. Er horchte noch einmal, aufmerksamer diesmal. Wieder vernahm er ein leises Pochen, zaghaft, das leichte Anklopfen an das Leben. Vorsichtig wusch er dem Kind die Schmiere ab. Das warme Wasser in dem Bottich färbte sich dunkel.
Nicolo hoffte, dass das entwichene Leben zurück in den Körper fand. Er schaute fragend auf. Ale s sandra hielt ihre Augen geschlossen. Ihre Lippen bewegten sich. Unhörbar flüsterte sie betende Worte. Eine machtvolle Seele schien den kleinen Körper zu zwingen, sie wieder aufzunehmen. Langsam drang der Geist in jedes Glied und in die Brust, versorgte die Lunge mit Atem. Die Rippen hoben sich, vorsichtig zunächst, dann kräftiger und stetig. Finger krümmten sich unruhig und sprunghaft. Die Beine begannen zu strampeln, die Arme schlugen um sich. Die Farbe des Kindes wechselte erst allmählich dann schneller von dem dr o henden Schwarz in das rosige Fleisch eines Neugeborenen. Die zurückgekehrte Seele prüfte die Funktionen ihres Körpers. Der Mund öffnete sich und ein lauter Schrei kündigte die en d gültige Rückkehr des Lebens an.
Versteinert und zitternd, mit aufgerissenen Augen starrte Nanini auf die Verwandlung des t o ten Wesens in das lebendige Kind. Die Vestite, die in der Blase Geborenen, sollten Glück erfahren in ihrem Leben, so hieß es im Volksmund. Für die Balia Nanini bedeutete es, das Mädchen war eine Benandantin, eine, die des Nachts aus ihrem Körper fuhr um gegen die Feinde, die Streghoni, zu kämpfen.
Für den Burgherren galt nur die eine Wahrheit, sein Kind lebte. Zärtlich schloss er seine Frau in die Arme, küsste sie auf die Wange und stieß voller Stolz hervor: "Caterina Picchena lebt."
Die nassen Nebel erfüllten das Zimmer. Kalt fühlten sich die Wände an. Es fehlte jegliche Wärmequelle. An Fenstern, Zimmerdecke und den schweren Balken sammelte sich die Feuchtigkeit. Durch die Ritzen der verschlossenen Tür zog ein kalter Wind. Die Nässe legte sich auf die Brust der Menschen. Die Körper fröstelten. Zu lange hatte Alessandra aufgedeckt gelegen.
Curzio Picchena trat zur Tür. Er gab dem Knecht einen Wink. Marco füllte die Öllampen nach und steckte neue Fackeln an die kunstvoll geschmiedeten Eisenringe in den Wände n . Das fl a ckernde Licht spendete spärlich Wärme und Trost. An den Fensteröffnungen kämpfte der au s dringende Rauch gegen die einströmende Feuchtigkeit. Verrauchte Luft verhinderte ein freies Atmen.
Der Arzt salbte das Mädchen und legte es in die Wiege. Nicolo schaute auf den Landgraf. Cu r zio Picchena hielt die Hand seiner Frau. Sein sorgenvoller Blick ging an dem Nachmittag hinaus durch die kleine Öffnung in der schweren Bruchsteinwand, begegnete dort der unwirtlichen Welt.
"Mein Gott, Graf Picchena, was macht ihr für ein Gesicht", lachte der Medikus. „Ihr habt eine lebendige Tochter. Nicht jedem ist auf Anhieb dieses Glück beschert", ermunterte er den Graf.
"Ich danke euch, Nicolo." Der Vater holte seinen Blick aus der Weite zurück zu seinem neug e borenen Kind.
D ie Amme hob gemeinsam mit dem Knecht den Bottich auf und brachte ihn hinaus. Ein Schauder überkam sie, als sie noch die Fruchtblase des Neugeborenen in dem schmutzigen Wasser fand. In der Cucina schrie sie ängstlich auf und lief mit hoch gerafftem Rock davon. Marco rannte ihr nach und riss sie zurück. Widerwillig unterstützte
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