Galileis Freundin (German Edition)
sich auf die kalte Bank.
"Oh Menschheit entlass mich aus deinen Klauen", schrie sie dem schwachen Licht, das durch das Fenster fiel, entgegen. "Ihr Mütter und Väter, hört ihr mich? Wollt ihr nicht wahrhaben, was mit mir geschieht? Warum verbergt ihr eure Augen vor dem Mord in diesem Turm? W a rum verschließt ihr eure Ohren vor meinen Rufen? Warum habt Ihr nicht den Mut, euch zu wehren w enn ich mit Einsamkeit gefoltert we r de . Ihr seid zu feige, euch zu erheben. Warum lasst ihr euch nicht lieber im Kampf töten, als euch von diesen selbs t herrlichen weltlichen und geistlichen Fürsten unterdrücken und erniedrigen zu lassen?
Holt mich hier heraus", schrie sie mit lang anhaltende m Atem.
Die Menschen auf den Straßen erschraken und bekreuzigten sich. Frauen bedeckten ihre Ohren mit einem Kopftuch und Männer zogen ihre Mützen tiefer. Ein verkrüppelter Irrer blickte zum Maschio hoch und schrie: "Haha, Picchena, jetzt geht es dir schlecht. Recht geschieht dir, du Hure. Hättest dich vorher besinnen sollen."
"Halts Maul, du Krüppel“, spuckte ihn einer an und ein dritter schlug ihn auf seinen Buckel, dass er unter Schmerzen schrie und zusammenbrach.
"Jetzt weißt du, wie das ist, du Schädling", verspottete ihn der Schläger. "Die Caterina ist eine der unsrigen, das solltest du wissen, du Zwerg."
"Warum helft ihr diesem Weib dann nicht", krächzte der Bucklige. "Ihr habt wohl euren Mut in der Hose verloren?"
Der Schläger trat noch einmal nach ihm, blickte zu dem unheimlichen Fenster des Maschio und eilte nach Hause.
Il Maschio
Unterhalb der Festung Volterra hockte am späten Abend ein müder Wanderer am Rand der Hecken. Er schien sich ausruhen zu wollen von der Mühe seines langen Weges. Der Mann lauschte der jammernden Stimme, die aus dem offenen Kerkerloch des Maschio drang. Er hörte Caterina Picchena, ihr Weinen und Zagen, hörte ihre Anklage und ihre Flüche. Er nahm das grenzenlose Leid der Gräfin lange wahr, bis er seine inneren Schmerzen nicht mehr ertrug.
Er stopfte sich die Finger in die Ohren, um die Klagelieder nicht mehr hören zu müssen. Sein Leid aber wurde nur noch größer. Tränen rannen ihm über das Gesicht. Er hätte aufstehen und dem Leid der Gequälten entfliehen können. Doch wusste er, wie sehr sein Leben an das Leid der Caterina Picchena gefesselt war.
Nahezu ohnmächtig vor Schmerz erhob sich Valerio Chiarenti an diesem Abend wie an vielen Abenden zuvor.
Mehrere Eingaben hatte er bisher schon beim Granduca gemacht. Sie waren ohne Erfolg geblieben. Noch nicht einmal eine Antwort hatte er bekommen.
Valerio ging zu seiner kleinen Kutsche und kehrte nach San Gimignano zurück. In seinem Haus angekommen schloss er Marzial Cursio in seine Arme. Der Knabe war zu einem stattlichen Burschen heran gewachsen. Wenigstens ihn hatte der Arzt nach einer Bitte an den Großherzog zu sich aufnehmen können. Marzial Cursio lebte wie ein Sohn in der Villa Chiarenti. Der Arzt ließ ihm die beste Ausbildung zukommen. Oft sprach er mit dem kräftigen Knaben über Freiheit und Rechte der Menschen, über die Grausamkeiten und die Willkür des Fürstenhauses und der Inquisition der Kirche Roms. Niemals nahm Valerio seinen Ziehsohn mit nach Volterra. Er sollte nicht die Klagen und das Leid seiner Mutter vernehmen.
Inzwischen durchzogen die unheimlichen Rufe der verlorenen Caterina Picchena die Nächte der Stadt Volterra wie das Heulen eines verzweifelten Hundes. Sie hallten wie die Strafe für das Schweigen der Menschen gegen Unrecht und Unterdrückung, gegen Untätigsein und Angst gegenüber den Herrschenden durch die engen Gassen des ehemaligen mächtigen Stadtstaates. Sie versetzten die Bürger in Angst und Schrecken, mehr wegen ihrer eigenen Schuld als wegen der Leiden der Picchena.
Cateri n a hockte meist auf der Steinbank und starrte auf den dreckigen Boden oder die feuchten Steinwände. Nur für wenige Stunden fiel genügen Licht in ihren Kerker, das den Raum ein bisschen ausleuchtete. In der Herbst-und Winterzeit, wenn dichter Nebel über den Höhenzügen von Volterra lag und wenn tiefe Regelnwolken über den engen Straßen und Gassen hingen, reichte das schwache Licht, das durch die kleine Maueröffnung bis in ihr Verlies vordringen konnte, gerade, um nur schemenhaft die Wände erkennen zu können.
Die Gefangene verfiel in einen umnachteten Zustand. Sie hockte apathisch auf der Steinbank und stierte auf den Boden. Wie Nebelschwaden bewegten sich die Wände. Sie fuhren auf
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