Ripley Under Ground
1
Tom war im Garten, als das Telefon klingelte. Er ließ die Haushälterin, Mme. Annette, hingehen und kratzte weiter an dem feuchtschwammigen Moos, das sich an den Seiten der steinernen Treppenstufen festgesetzt hatte. Der Oktober war naß in diesem Jahr.
»M. Tome !« rief Mme. Annettes helle Sopranstimme. »Hier ist London!«
»Ich komme schon!« rief Tom zurück. Er warf den Spachtel hin und lief die Treppe hinauf. Das Telefon im Erdgeschoß stand im Wohnzimmer, neben dem gelben Satinsofa. Tom setzte sich nicht hin; er hatte Arbeitshosen an.
»Hallo, Tom. Hier Jeff Constant. Hast du . . .« Bllrr . . .
»Kannst du etwas lauter sprechen? Ich hör dich schlecht.«
»Jetzt besser? Ich kann dich sehr gut hören.«
So war es immer, wenn er mit London sprach. »Ja, etwas.«
»Hast du meinen Brief bekommen?«
»Nein«, sagte Tom.
»Ach. Hör zu, Tom, hier ist was . . . ich wollte dich warnen. Bei uns hat . . .« Es knackte, summte, dann kam ein dumpfes Klicken, und die Verbindung brach ab.
»Verdammt«, sagte Tom gelassen. Ihn warnen – wieso? War in der Galerie etwas passiert? Bei Derwatt Ltd.? Wieso sollte er gewarnt werden? Er hatte ja kaum etwas damit zu tun. Er hatte zwar die Sache mit Derwatt Ltd. erfunden und bezog auch ein kleines Einkommen daraus, aber – ach was. Er betrachtete das Telefon und wartete, daß es noch einmal klingelte. Oder ob er lieber Jeff anrief? Nein. Er wußte gar nicht, ob Jeff in seiner Werkstatt oder in der Galerie war. Jeff Constant war Fotograf.
Tom ging zu der großen Glastür hinüber, die in den Hintergarten führte. Er wollte mit dem Moosabkratzen noch etwas weitermachen. Tom arbeitete gern manchmal im Garten, jeden Tag etwa eine Stunde; es machte ihm Spaß, mit dem Motormäher über den Rasen zu fahren, trockene Zweige zusammenzurechen und zu verbrennen, Unkraut zu jäten. Die Arbeit tat ihm gut, und er konnte dabei träumen. Gerade hatte er den Spachtel wieder aufgenommen, als das Telefon klingelte.
Mme. Annette kam mit dem Staubtuch ins Wohnzimmer. Sie war etwa sechzig, klein und untersetzt, verstand kein Wort Englisch und schien unfähig, auch nur ›Guten Morgen‹ zu lernen. Tom war das sehr recht so.
»Ich geh schon hin, Madame«, sagte Tom und nahm den Hörer auf. Es war Jeff. Er sagte:
»Tom, hallo – hör bitte mal zu: kannst du rüberkommen? Hierher, nach London? Ich . . .«
»Was ist denn los?« Die Verbindung war immer noch schlecht, wenn auch ein wenig besser als vorher.
»Ja, ich – in meinem Brief habe ich alles erklärt. Hier am Telefon kann ich es nicht sagen. Aber es ist wirklich wichtig, Tom.«
»Hat einer was falsch gemacht? – Bernard?«
»So ungefähr, ja. Ein Mann aus New York ist unterwegs hierher. Kommt wahrscheinlich morgen.«
»Wer?«
»Hab ich alles in meinem Brief gesagt. Du weißt doch, die Derwatt-Ausstellung wird Dienstag eröffnet. Bis dahin kann ich ihn hinhalten. Aber Ed und ich – wir bringen das einfach nicht fertig.« Jeffs Stimme klang sehr besorgt. »Hast du Zeit, Tom? Kannst du kommen?«
»Na ja.« Tom hatte keine Lust, nach London zu fahren.
»Sag Heloise nichts davon, wenn es geht. Daß du nach London kommst, meine ich.«
»Heloise ist in Griechenland.«
»Prima.« Zum erstenmal klang Erleichterung in Jeffs Stimme.
Der Brief – per Eilpost und eingeschrieben – kam um fünf Uhr nachmittags. 104 Charles Place London N.W. 8 Lieber Tom, die neue Derwatt-Ausstellung – die erste seit zwei Jahren – wird Dienstag, den 15., eröffnet. Bernard hat neunzehn neue Gemälde, dazu kommen noch ein paar Leihgaben.
Jetzt kommt eine schlechte Nachricht. Ein Amerikaner namens Thomas Murchison hat an die Galerie Buckmaster (an mich) geschrieben. Er ist kein Händler, nur Sammler und Liebhaber, pensionierter Mann mit allerhand Geld. Er hat vor drei Jahren einen Derwatt von uns gekauft und hat ihn mit einem früheren Derwatt, den er jetzt in Amerika gesehen hat, verglichen, und nun sagt er, seiner sei eine Fälschung. Was natürlich stimmt, weil er ja von Bernard stammt. Er hält sein Bild nicht für echt, weil die Farben und die Technik zu einer Werkperiode von Derwatt gehören, die fünf oder sechs Jahre alt ist.
Ich habe das deutliche Gefühl, er wird hier Krach schlagen. Was sollen wir tun? Du hast immer so gute Ideen, Tom. Kannst Du nicht herkommen und die Sache mit uns besprechen? Alle Reisekosten zu Lasten der Galerie. Wir brauchen ganz dringend einen Schuß Zuversicht. Ich glaube nicht, daß Bernard mit den neuen Bildern irgendwas falsch
Weitere Kostenlose Bücher