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Ganz oder Kowalski

Ganz oder Kowalski

Titel: Ganz oder Kowalski Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Stacey
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schon.“
    Warmherzig lächelte er sie an, und seine blauen Augen funkelten. Es war schon komisch, dass man einen Menschen fünfundsechzig Jahre kennen konnte, ohne dass einem bewusst gewesen wäre, welche Augenfarbe er hatte. „Es ist schon eine Weile her, aber ja, ich weiß es noch.“
    Als Russell sie so ansah, musste sie daran denken, wie sie sich gefühlt hatte, als sie sich Hals über Kopf in ihren Ehemann verliebt hatte, und wie sehr er ihr fehlte. Doch manchmal fragte sie sich, ob sie ihn vermisste oder nur das Gefühl, jemanden an ihrer Seite zu haben. Und sie fragte sich, ob Russell auch manchmal so empfand.
    Zaghaft erwiderte sie sein Lächeln und dachte darüber nach, was sie sagen konnte, aber ihr fiel nichts ein. Es war schon lange her, dass sie mit einem Mann geflirtet hatte.
    Der Gedanke ließ sie kurz stutzen. Flirtete er tatsächlich mit ihr? Oder war er nur nett, und sie begriff es als das letzte Rettungsboot, das sie vom sinkenden Rentnerdampfer bergen konnte?
    Glücklicherweise brachte ihre Kellnerin – eine junge Frau, die Cat nicht kannte – in diesem Moment ihr Essen und lenkte sie beide vom Thema ab. Gedankenverloren widmete Cat sich ihrem verbotenen Essen.
    „Ich glaube, ich habe, seit ich fünfzig geworden bin und Flo mich dazu gezwungen hat, meine Cholesterinwerte überprüfen zu lassen, kein Brathähnchen mehr gegessen“, erzählte Russell.
    „Wir haben nicht mehr alle Zeit der Welt, also habe ich vor, die Jahre, die mir noch bleiben, in vollen Zügen zu genießen. Wenn ich nicht ab und zu mal Eier, Hackfleisch und Käse essen darf, kann ich mich genauso gut gleich hinlegen und die Augen schließen.“
    „Das mag ich an dir.“
    „Allerdings nur ab und zu“, wiederholte sie. „Wenn man das hier ständig isst, verkürzt man sein Leben so drastisch, dass einem gar keine Zeit mehr bleibt, um sich darüber Sorgen zu machen.“
    Russell legte seine Gabel beiseite, um sich mit der Serviette den Mund abzutupfen. Dann nippte er an seinem Kaffee. „Ich erinnere mich daran, dass ich schon im Geschäft geholfen habe, als ich noch einen Hocker brauchte, um überhaupt an die Kasse zu kommen, Preise einzutippen und abzukassieren. Ich wusste von dem Zeitpunkt an, als ich laufen konnte, dass die Haushaltswaren mein Leben sein würden. Und wenn Dani nicht so stur gewesen wäre, hätten sie auch ihr Leben bestimmt. Doch ich muss zugeben, dass ein kleiner Teil von mir dem Laden nicht hinterhertrauert. Wenn ich hier mit dir bei einem Teller mit einem Brathähnchen sitze und du mich anlächelst, fühle ich, dass noch genug Leben in mir ist, um zu versuchen, mich zu amüsieren und es zu genießen.“
    Zum ersten Mal in den fünfundsechzig Jahren ihres Lebens beschloss Cat, all ihren Mut zusammenzunehmen, die Initiative zu ergreifen und auf einen Mann zuzugehen. „Ist auch noch genug Leben in dir, um eine alte Frau zum Tanzen auszuführen?“
    „Tja, wenn ich eine alte Frau treffe, werde ich darüber nachdenken. Aber in der Zwischenzeit würde ich gern mit dir tanzen gehen.“
    Als Cat spürte, dass sie wie ein junges Mädchen errötete, war sie nur dankbar, dass sie nicht auch wie eines kicherte. „Du bist ein Charmeur, Russell Walker. Ich glaube, ich werde dich im Auge behalten müssen.“
    Er grinste nur und biss herzhaft in sein fettiges Brathähnchen.
    Sean lief am Briefkasten vorbei, warf nur einen flüchtigen Blick auf die Gänseblümchen und joggte Emmas Einfahrt hinauf. Ihm würde gerade noch genug Zeit bleiben, um schnell zu duschen, ehe Emmas Wecker schrillte und ein weiterer verrückter Tag begann.
    Um vier Uhr morgens hatte er beschlossen, dass sein begieriger Körper ihm sowieso keine Ruhe lassen würde und dass er sich nicht weiter hin und her wälzen wollte. Also war er leise aufgestanden und hatte sich aus dem Haus geschlichen, um eine Runde zu joggen. Schon während der Grundausbildung beim Militär hatte das geholfen – Ungehorsam und Auflehnung waren mit erschöpfender körperlicher Strafe unterdrückt worden. Er war sich nicht sicher, ob das auch bei seiner Lust klappte, die er nicht in den Griff zu bekommen schien, doch es war den Versuch wert.
    Verschwitzt und atemlos überquerte er die Veranda und schlüpfte zurück in das noch immer stille Haus. Nachdem er seine Laufschuhe ausgezogen hatte, stieg er die Treppe hinauf. Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, wo die knarrende Stufe war. Oben schlich er sich in Emmas Schlafzimmer. In ihr gemeinsames Schlafzimmer. Sie

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