Ohne jedes Tabu
PROLOG
Lucian Sinclair glaubte nicht an Liebe auf den ersten Blick.
Dass man jemanden auf Anhieb mochte, kam natürlich vor.
Auch so etwas wie Lust auf den ersten Blick gab es.
Aber Liebe auf den ersten Blick? Ganz sicher nicht.
Liebe, wenn es sie denn überhaupt gab, war mit Vorstellungen wie „Verpflichtungen eingehen”, „ewige Treue” und „Ehe”
verbunden. Er verglich die Sache mit einem Anzug. Ein Anzug, der dem Rest seiner Familie ausgezeichnet zu gefallen schien, der aber nichts für ihn war, da der Schnitt viel zu eng und ganz und gar nicht sein Stil war. Er war glücklich mit seinem Leben, so wie es war. Einem Leben als Single, unabhängig und ohne Komplikationen.
Und er hatte nicht die Absicht, es zu ändern.
Er lachte innerlich über die ungewöhnliche Richtung, die seine Gedanken genommen hatten, bevor er leise aus dem Bett schlüpfte, um die Frau, die so friedlich neben ihm schlief, nicht zu stören. Er wusste, dass sie in knapp vier Stunden ins Flugzeug steigen musste, und da sie in der letzten Nacht so wenig Schlaf bekommen hatte, hielt er es für besser, sie nicht zu wecken.
Allerdings, dachte er lächelnd, habe ich auch nicht viel geschlafen.
Raina Sarbanes war die schönste Frau, die er je gesehen hatte.
Gestern Abend, auf der Hochzeitsfeier seines Bruders Gabe, hatte er Melanie, seine neue Schwägerin, sagen hören, dass ihre Trauzeugin die Titelblätter mehrerer Modezeitschriften geziert habe, bevor sie sich vor drei Jahren, mit fünfundzwanzig, als Modedesignerin selbstständig gemacht hatte. Er hatte außerdem gehört, dass sie vor sechs Jahren kurz mit einem griechischen Reeder verheiratet gewesen sei, dass sie in New York Modedesign studiert habe und dass sie morgen früh nach Italien fliegen würde, um dort mit einem bekannten Modedesigner zu arbeiten.
Das meiste davon hatte er aus zweiter Hand, nämlich von Melanie erfahren. Raina selbst schien nicht über sich sprechen zu wollen, also hatten sie sich im Lauf der Nacht über unverfänglichere Themen unterhalten: über Gabe und Melanie; über Kevin, Melanies Sohn aus ihrer ersten Ehe; über Lucians Baufirma und die Schule für Modedesign, die Raina besucht hatte. Und darüber, dass keiner von ihnen im Moment an einer festen Beziehung interessiert sei.
Obwohl sie dies Thema nur kurz angeschnitten hatten, war es wichtig gewesen. Beide waren sie sich einig, dass sie, trotz der starken Anziehungskraft zwischen ihnen, nicht auf der Suche nach einer festen Bindung waren.
Aber viel gesprochen hatten sie in der Nacht nicht. Ein KUSS oder eine Berührung hatten gereicht, und schon waren sie einander von neuem atemlos und gierig in die Arme gefallen.
Jetzt, wo er neben dem Bett stand und Raina ansah, war er erneut fasziniert von ihrem wunderschönen Gesicht, das vom frühen Morgenlicht erhellt wurde. Er konnte nicht widerstehen und berührte ihr langes Haar, das den satten Farbton von dunk ler Schokolade hatte und sich in der Nacht wie schimmernde Seide auf seine Haut gelegt hatte.
Ihr Gesicht war herzförmig, mit hohen Wangenknochen, einer geraden Nase und sanft geschwungenen, sinnlichen Lippen. Obwohl ihre Augen jetzt geschlossen waren, wusste er noch genau, dass sie blau waren. Strahlend blau, mit dichten dunklen Wimpern und feinen Brauen. Es waren diese Augen gewesen, die ihn so angezogen hatten, als er Raina vor zwei Tagen bei der Generalprobe für die Hochzeit das erste Mal gesehen hatte.
Er hatte sie sofort begehrt, und zwar mit einer Heftigkeit, die schon fast erschreckend war. Noch nie hatte eine Frau ihn derart aus der Fassung gebracht.
Aus diesem Grund hatte er sich während der letzten beiden Tage von ihr fern gehalten. Allerdings hatte auch sie ihn keineswegs ermutigt. Er hatte sogar gedacht, dass er Raina absolut gleichgültig sei, da sie sich ausgesprochen kühl ihm gegenüber verhalten hatte. Seine Brüder hatten ihn schon damit aufgezogen, dass Melanies beste Freundin offenbar nicht nur gut aussah, sondern auch noch über Verstand verfüge, da sie seinem Charme und seinem guten Aussehen gegenüber immun zu sein schien - im Gegensatz zu den meisten anderen Frauen.
Dann hatte er Raina angeboten, sie nach der Hochzeitsfeier zu Melanie und Gabes Haus zu fahren, und innerhalb von Sekunden war auf einmal alles anders gewesen.
Ihm war noch immer nicht ganz klar, wer den ersten Schritt gemacht hatte. Er wusste nur noch, dass sie ins Haus getreten waren und sich plötzlich leidenschaftlich geküsst hatten. Noch
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