Gartengeschichten
Und in vielen nur scheinbar fachlich-sachlichen Gartengesprächen begriff ich, daß genau das immer wieder die Ausweglosigkeit des Gärtners ist. Jedenfalls des Gärtners, der seinem Garten ein eigenes Leben,einen eigenen Rhythmus, Individualität zubilligt. Es ist im Prinzip gleichgültig, ob es sich um hundert oder um zehntausend Quadratmeter handelt. Wohin will der Garten, wenn ich ihn lasse? Wald oder Steppe? Und in welche Richtung läßt er sich von mir lenken? Wieviel Gewalt muß ich ihm antun?
Natürlich war die Gartengräfin viel befehlsgewohnter, als ich es je sein werde. Das bekamen auch Garten und Park zu spüren, sie sind ja die Reiche, in denen Frauen unangefochten herrschen dürfen. Das war schon früher so, vielleicht lassen Frauen sich deswegen so bereitwillig hinter Hecken und Zäunen nieder und toben sich dort aus.
Auch sie liebte Begrenzungen, vor allem Festons. Ich hätte, bevor ich sie kannte, niemals für möglich gehalten, daß ich mich stundenlang über Form und Anordnung kleiner Säulchen mit Ketten dazwischen, die dazu da sind, weiten Rasenflächen eine Form zu geben, unterhalten könnte. Ich irrte mich. Festons sind insofern ein wunderbares Thema, weil man weiß, man wird in seinem eigenen Garten dergleichen nie unterbringen können. Festons am Rand von fünfzig Quadratmetern wären albern. Es ging mir mit dieser Art der Gartenzierde und -ordnung wie mit Geschichten über Models oder Filmstars: Man wird das nie, darf aber eine Meinung haben. Ob man nun Schmiedeeisen mit klassizistischen Elementen oder schlichte Formen bevorzugt, dünnere oder dickere Ketten, runde oder eckige Glieder, in welchem Schwung und wie hoch sollen sie hängen, und die Hauptfrage – bewachsen lassen oder nicht? Keine Frage mehr, wenn man einmal die roten Herbstgirlanden des Wilden Weins eine sanft durchhängende Eisenkette hat entlang klettern sehen. Erst nach und nach begriff ich, was die Gartengräfin eigentlich im Sinn hatte: ein Vermächtnis, aber keinlastendes, sondern eine in den Gartenanlagen aufgehobene Erinnerungssammlung gegen ihr eigenes Verdikt über die Vergänglichkeit. Zitate aus vergangenen Zeiten vermischt mit Vorlieben des eigenen Lebens, Vorschläge, wie das Schöne zugänglich zu machen sei, Pointen und Pathos gleichermaßen. Vielleicht hat sie sich das so nicht vorgenommen, aber sie arbeitete bis zum Schluß daran.
Es gab in ihrem Leben noch einen anderen, weit entfernten Garten, den sie sehr zu lieben schien, der sie aber nicht so beanspruchte und beschäftigte wie der Driburger. Oft sprach sie von diesem Garten in Florida wie von einem reichen, sorglosen Verwandten, dem alles von allein zufällt.
Du gehst einfach raus und pflückst deine eigenen Pampelmusen zum Frühstück.
Ich ergriff sofort Partei gegen den amerikanischen Garten, den ich gar nicht kannte.
Und hier pflückst du deine eigenen Erdbeeren oder Tomaten, wenn du willst, sagte ich.
Das ist nicht zu vergleichen, sagte sie.
Aus Amerika brachte sie die merkwürdigsten Geschichten mit, sie, die einzige Ungeliftete unter all den glattgebügelten Societydamen. Sie war dennoch oder grade deswegen die Schönste. Mit Sicherheit wußte sie das. Ob ihr das Leben in den schwülen Paradiesen Floridas wirklich gefiel? Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, ob ihr das Leben überhaupt gefiel, ich weiß nur, daß sie leidenschaftlich daran hing. Als sie Jahre zuvor die Diagnose bekommen hatte, erzählte sie mir, sei sie als erstes in den Wald gelaufen und hätte laut geschrien, immer und immer wieder.
Im Oktober wollte sie mir das im Frühling neu angepflanzte Apfelspalier zeigen. Wir fuhren zur Gärtnerei, sie hatte sich ausstaffiert wie eine Gärtnerin-Darstellerin, mit Hut,Stiefeln, Weidenkörbchen und Knipser. Die Apfelbäumchen waren angetreten wie eine kleine Leibgarde, strammstehend mit leuchtend roten Apfelbacken, obwohl sie so jung waren, trugen sie schon ordentlich. Ich hatte sie im Frühjahr blühend gesehen, brav und hübsch wie Kommunionkinder.
Die Gartengräfin ging sehr langsam von Bäumchen zu Bäumchen, die hielten ihr die Äpfel hin, ganz willig. Jeden Apfel schaute sie genau an und legte ihn dann in den Korb. Ich mußte an meine Mutter denken mit ihren Aprikosen. Das Geschaffene, das zum Wachsen und Reifwerden Gebrachte, was für eine Bedeutung bekam das plötzlich.
Laß mich doch auch mal einen abmachen, sagte ich.
Aber nur einen, antwortete sie nach kurzem Zögern.
Der Korb wurde später auf den großen Tisch
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