Gartengeschichten
wenn es nicht mag, mag es nicht, und es verrät leider nicht, was ihm nun eigentlich nicht paßt. Der Graf hatte seiner Frau tröstend angeboten, mit dem Bulldozer drüber zu fahren und der kläglichen Pracht ein Ende zu machen. Eine Fehlplanung also. Aber eine Gärtnerin wie sie, die Gartengräfin, muß groß denken, und das tat sie bis zum Schluß. Und sie ließ alles in ihren Garten hineinwachsen, Poesie, Religion, Philosophie und auch ein wenig Misanthropie. Ein Körnchen davon liegt, glaube ich, im Wesen aller leidenschaftlichen Gärtner.
Sie war um die siebzig, als ich sie kennenlernte, sehr schlank und ungeheuer elegant. Auch in Jeans und Gummistiefeln sah sie wie eine Million Dollar aus. Ich habe sie, bis die Krankheit sichtbar wurde, nie anders als mit perfekt sitzenden Haaren gesehen, jene sündhaft teure Verwuscheltheit,die nicht aussieht wie vom Friseur – der in solchen Fällen Coiffeur heißt –, sondern wie vom lieben Gott. Mein Glück war, daß sie etwas von mir wollte. Sonst hätte ich mich vor ihr gefürchtet, vor ihrer scharfen Zunge, ihrem unbarmherzigen Blick, vor dieser aristokratischen Aura, die ich ebenso spannend wie sonderbar fand. So aber, mit ihrer Bitte, etwas für sie zu schreiben, war ich auf sicherem Terrain, niemand wagte mir zu verübeln, daß ich die falschen Schuhe trug, und ich lernte eine der witzigsten und schönheitssüchtigsten Frauen kennen, die ich je getroffen habe. Und eben eine ganz große Gärtnerin.
Aus vielen ihrer Geschichten ging hervor, daß unsichtbar unter ihrem Garten ein anderer lag, ihr Kindheitsgarten. Den versuchte sie immer wieder hervorzuholen, und manchmal gelang es ihr wohl.
Zuerst zeigte sie mir die Gärtnerei, das Herzstück. Ein Garten dieser Größenordnung muß seine Keimzelle in sich haben: eine eigene Gärtnerei. Ich habe eine wie ihre damals zum erstenmal gesehen und begriff sofort: Das ist eine Kampfansage an die Massenproduktion von Pflanzen, und es ist Voraussetzung für eine eigene gestalterische Handschrift. Sie hatte diese Gärtnerei aus dem Schutt gekratzt, in den man sie jahrzehntelang hatte sinken lassen. Voll Begeisterung wies sie mich auf die alten Einfassungen der Beete hin, die Glashäuser und die Ansammlung ihrer Lieblingsblumen, alles gleichsam geadelte Bauernblumen. Überall blühte es so verrückt, als wolle sich der vergessene Ort dankbar für seine Wiedererweckung zeigen. Sie zog auch Erdbeeren, Tomaten und allerlei Kraut. Heutzutage ist eine eigene Gärtnerei das Gegenteil von Sparsamkeit – ein ungeheurer Luxus. Für sie war es eine Erinnerung an ihre Kindheit im Krieg, als die Gärtnerei die einzige verläßliche Nahrungsquelle war. Ineinem kleinen Text darüber verwendet sie dreimal das Wort Paradies.
Sie freute sich über meine Begeisterung. Sie schien sich nicht immer verstanden zu fühlen, auch diese leise Melancholie teilte sie mit vielen großen Gärtnern. Es ist ja auch wahr: Keiner sieht wirklich, was einen Garten ausmacht, welche Kämpfe in ihm vergraben sind und wieviel Enttäuschungen, Hoffnungen und neue Enttäuschungen ihn gedüngt haben. Bei ihr spielte auch die Sache mit der Unsterblichkeit eine große Rolle.
Wie wenig bleibt am Ende von jedem Menschen? Und wie wenig ahnt man von diesem Wenigen, das sogar sichtbar ist und Bestand hat? Und selbst von demjenigen, das bleibt, überdauert nur ein winziger Teil in der Erinnerung. Das Gedächtnis des einzelnen läßt sich nicht übertragen. Alles, was uns begeistert oder schmerzt, macht sich nur für einen kurzen Augenblick bemerkbar, danach verliert es sich .
Das schrieb sie als Vorbemerkung zu ihrem Text über Das Gräfliche Haus und seine Bewohner. Eine persönliche Geschichte . Und man könnte aus ihren Worten schließen, sie sei mit diesem Lauf der Dinge einverstanden gewesen. Aber das war ganz und gar nicht der Fall, man beachte die Fragezeichen hinter ihren Sätzen. Diese Fragezeichen heißen: Könnte es nicht doch ganz anders kommen? Kann ich nicht der schrecklichen Lethe, dem Fluß des Vergessens, entrinnen? Dafür machte sie das große, mehr als opulente Driburg-Buch, und dafür machte sie natürlich vor allem den Garten.
Gesellschaftlich blieb ihr im Grunde nichts zu wünschen übrig. Das gräfliche Paar war zu fast allen royalen Familienereignissen eingeladen und empfing im »Haus« – das ausdrücklich nicht Schloß genannt wurde – königliche Gäste. Sie hatten zwei Kinder, einen westfälisch-aristokratischenFreundeskreis und eine Menge
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