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Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Gauß: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauß: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Mania
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tägliche Weg zur Katharinen-Volksschule ist kurz. Gut hundertfünfzig Meter den Wendengraben entlang Richtung Schloss bis zur Kreuzung Fallersleber Straße, auf der der Verkehr vom und zum großen Osttor der Stadt fließt. Hier gibt es sogar schon die neumodischen Bürgersteige und die ersten Straßenlaternen. Rechts abgebogen, sind es zwischen 75 und 80 Kinderschritte bis zur Katharinenkirche am Hagenmarkt. Direkt der Kirche gegenüber steht das mächtige Opernhaus mit der vornehmen Südfassade aus Sandstein und dem kleinteiligen Fachwerk an der Westseite. Seine besten Tage hat es zur Regierungszeit des Opernaficionados Carls I. gesehen. Der neue Herzog hält den Theaterbetrieb kurz. Über italienische Melodieseligkeiten äußert er sich geringschätzig. Der ernst und reserviert wirkende Landesherr interessiert sich eher für die technische Forschungs- und Entwicklungsarbeit am Collegium Carolinum. Carl Friedrich muss jetzt nur noch den geräumigen Kirchhof überqueren, und schon steht er vor der Schule, in der Direktor Büttner ein strenges Regiment führt: «Es war eine dumpfe, niedrige Schulstube mit einem unebenen ausgelaufenen Fußboden, von der man nach der einen Seite gegen die beiden schlanken gothischen Türme der Catharinen-Kirche, nach der andern gegen Ställe und armselige Hintergebäude hinaus blickte. Hier ging Büttner zwischen etwa hundert Schülern auf und ab, mit der Karwatsche in der Hand …» [Wal: 12]. Sie ist sein Zepter und wichtigstes Erziehungsinstrument zugleich: eine Peitsche aus geflochtenen Lederriemen, deren kurzer Stiel ebenfalls mit Leder überzogen ist, «dergleichen man zum Reiten und Fahren und zur Züchtigung bey Menschen und Thieren gebraucht.» Bei falschen und frechen Antworten setzt es gnadenlos Prügel. Aber auch die Klügeren müssen auf der Hut sein. Denn allzu originelle Gegenreden und Anzeichen von Kreativität könnte Büttner als potenzielle Bedrohung seiner Überlegenheit empfinden.
    Die allgemeine Schulpflicht ist im Herzogtum Braunschweig seit 1752 gesetzlich festgeschrieben. Lesen und Religion sind die einzigen Pflichtfächer für Schulanfänger. Jedem Lehrer stehen zwei pädagogische Standardwerke zur Verfügung: Unterricht für die Schulmeister, wie das Buchstabieren und Lesen auch der zartesten Jugend leicht und gründlich beigebracht werden könne und die Einleitung in die Geschichte und Bücher des alten und neuen Testaments [Smi: 37]. Die Eltern der Schüler müssen wöchentlich ein paar Groschen und Pfennige Schulgeld an Büttner persönlich zahlen. Und der wird beim Gang durch die Bankreihen ganz genau im Bilde darüber sein, wessen Eltern wieder einmal oder immer noch bei ihm in der Kreide stehen – ein zusätzlicher Stressfaktor für den armen Mann, dessen Peitschenhand bei solchen existenziellen Reflexionen verständlicherweise ins Zucken geraten kann.
    Büttner ist nach landesherrlicher Verfügung zunächst nur verpflichtet, den Kleinen das Buchstabieren beizubringen, um mit ihnen den Katechismus pauken zu können. Also wird Carls extrem aufnahmefähiges Gehirn in den ersten beiden Schuljahren täglich kaum etwas anderes zu tun gehabt haben, als die karg erzählten Geschichten eines archaischen Wüstenvolkes zu verarbeiten, das vor unvorstellbar langer Zeit immer nur auf Wanderschaft gewesen ist und dessen wundertätiger Anführer erstaunlicherweise kein Vorfahr Seiner Durchlaucht, Herzog Carl Wilhelm Ferdinands, gewesen ist. Da gibt es etwa die Geschichte über den Vater, der ohne nachzufragen bereit ist, aus Gehorsam zu einem ewig schlechtgelaunten Gott seinem Sohn mit einem ähnlichen Messer die Kehle durchzuschneiden, wie Carls eigener Vater es im Winter mehrmals die Woche benutzt, um die Schweine zu schlachten. Carl wird Kirchenlieder einstudiert und im fortgeschrittenen Stadium der Lesefähigkeit den obligatorischen Katechismuskurs absolviert haben.
    Als wären die Neuerungen im Schulwesen unter Herzog Carl I. nicht schon schwierig genug umzusetzen gewesen – Eltern, die kein Schulgeld zahlen wollen, Großgrundbesitzer mit wenig Bedarf an gebildeten Knechten und eine Geistlichkeit, die bei zu hoher Vernunftentwicklung ihrer Schäfchen den allmählichen Verlust ihres Monopols zur Erfindung und Vergebung von Sünden befürchtet –, soll nun auch noch der hochfliegende Geist von Humanismus und Philanthropie Einzug in die niedrigen Braunschweiger Schulstuben halten. Nach dem Willen Herzog Ferdinands * soll alle «harte und rauhe Zucht» [Smi: 54]

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