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Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Gebrauchsanweisung für China (German Edition)

Titel: Gebrauchsanweisung für China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Strittmatter
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nachgezählt:Presse und Romane des modernen China verwenden 99,48 Prozent ihrer Druckerschwärze auf die 3500 häufigsten Zeichen.) Während das gesprochene Chinesisch also himmlisch unkompliziert ist, sind Schreiben- und Lesenlernen eine üble Büffelei – und nicht wenige Pädagogen in China haben sich gefragt, ob die Tatsache, dass es chinesischen Schülern zwar nicht an Fleiß und Intelligenz gebricht, wohl aber an Phantasie und Kreativität, auf die jahrelange sture Auswendiglernerei zurückzuführen ist, die dem ganzen Schulsystem ihren Stempel aufdrückt.
    Diese Schrift, die das Lernen zum Drill macht, erhebt gleichzeitig das Schreiben in den Stand einer Kunst. In die mit Pinsel und Tusche stürmisch hingeworfenen oder beherrscht geführten Zeichen legt der Gelehrte seine Bildung, seine Emotion, sein sittliches Empfinden. Eine Kalligrafie adelt ein Blatt Papier ebenso sehr wie eine Malerei; sie lässt sich lesen als Visitenkarte desjenigen, der den Pinsel führte. Chinas Zeichen erzählen mehr, als das Lexikon ihnen an Wortsinn zugesteht.
    Es soll dies keine Enzyklopädie werden, mehr ein Taschenwörterbuch. So ernst und so komisch, so absurd und so traurig, so fröhlich und so hintersinnig, wie China sich dem zeigt, der mehr als einmal hinguckt. Manches drängte sich mir über die Jahre auf, anderes fiel mir eines Morgens vor die Füße, wieder anderes bereitete mir einfach diebische Freude. Es sind Schlaglichter, Mosaiksteinchen, kleine Skizzen, die jeder nach eigenem Gutdünken zu einem größeren Bild zusammensetzen kann.
    Und keine Angst: Chinesisch müssen Sie für die Lektüre dieses Buches nicht können. 1

 

Gelb
     
     
    Wollte man China auf eine Farbe reduzieren, es wäre diese. Mao Zedong mochte die »rote Sonne« sein, sein Volk blieb gelb: Gelb ist seine Haut, die Ufer des Gelben Flusses sind seine Wiege, der Gelbe Kaiser war sein Urahn. Für andere Völker am Beginn der Zeit war Gelb die Farbe der gleißenden Sonne, nicht für die Chinesen: Gelb ist die Farbe ihrer Erde; die Farbe des Staubes aus der Wüste im Norden. Der Wind in Zentralchina trug diesen Staub zu Lössebenen zusammen, aus denen der Gelbe Fluss schließlich sein Ocker spült. So wurde es die Farbe der Fruchtbarkeit. Die später dem Kaiser vorbehalten blieb, dem potentesten aller Chinesen. Seinen Kleidern, den Ziegeln seiner Palastdächer. Eine stolze, eine vornehme Farbe. Daran änderten auch die Intellektuellen nur wenig, die im Vorgriff auf die Demokratiebewegung von 1989 zum selbstkritischen Angriff auf die »Gelbe Kultur« ausholten: Sie stehe für Selbstisolierung und Konservativismus, fanden sie und drängten ihr Volk, die »Blaue Kultur« des Westens willkommen zu heißen – frische, weite Wasser statt staubiger Erde. Thesen, die heute in Chinas Medien keine Chance mehr hätten: Patriotismus ist Pflicht, die – eben noch rote –KP lackiert sich eifrig um. Aber nicht nur Patrioten, auch Pornos tragen in China gelb: Werke der Damen Uhse und Orlowski würde man beim gut sortierten Pekinger Straßenhändler unter dem Stichwort »Gelber Film« wiederfinden. Dem Prestige der Farbe hat bislang weder das eine noch das andere geschadet: Ein Internetportal versuchte, mit der Erfindung einer »Generation Yellow« bei Chinas Yuppies zu punkten; wer in Schanghai cool sein will, färbt sich den rabenschwarzen Schopf kanariengelb. Was unbedingt eine Annäherung an die Moderne ist, aber nicht notwendigerweise eine an den Westen – uns Europäer nannten die alten Chinesen »Rothaar-Barbaren«, nachdem ihnen ein paar sommersprossige Holländer über den Weg gelaufen waren. Wir revanchierten uns dafür später mit der »Gelben Gefahr« – ein schönes Beispiel für frühe → Interkulturelle Kommunikation .

 

Speer und Schild.
Oder: Land der Gegensätze
     
     
    Ein Mann verkaufte Schilder und Speere auf dem Markt. »Meine Schilder sind die stärksten!«, brüstete er sich, »kein Speer kann sie spalten.« Später hielt er einen Speer hoch. »Meine Speere sind so scharf, denen hält kein Hindernis stand«, rief er über den Platz.
    »Und was machst du, wenn einer deinen Speer nimmt und damit dein Schild angreift?«, fragte ein Kunde. Da verstummte der Händler. Und das chinesische Wort für Widersprüche heißt seither: »Speer und Schild«, mao dun.
    Längst haben die Nachfahren jenes Marktschreiers ihre Sprache wiedergefunden. »Ich glaube an Karl Marx«, sagt der junge Schanghaier Unternehmensberater treuherzig: »Deshalb

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