Gebrauchsanweisung für China (German Edition)
Vorstellung in ein poetisches Unternehmen verwandelt. Seit einiger Zeit aber gelten Vornamen als modern, die nunmehr aus einem Zeichen bestehen, was die Möglichkeiten der Variation stark einschränkt. Die Polizei der Stadt Nanning klagte öffentlich, dass in ihrer Stadt mittlerweile fast 400 Männer den Namen Li Jun (Soldat Li) trügen, sodass sich keiner zu wundern brauche, wenn es bei der Verbrecherjagd den Falschen treffe. Da sich die Eltern des Dilemmas sehr wohl bewusst sind, greifen sie oft tief in Chinas Schatzkiste und ziehen daraus die obskursten Schriftzeichen hervor, die zwar in vergessenen Werken der Literatur und Historie zu finden sein mögen, aber in keiner modernen Computerdatenbank. Wie, bitte schön, soll man sie da korrekt auf einen Pass oder Führerschein bringen?
Für werdende chinesische Eltern ist die Wahl des richtigen Namens eine Operation von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Sie wälzen Bibliotheken, konsultieren Wahrsager und blättern durch alte Kalender, um einen zu finden, der so viel Glück wie nur irgend möglich bringt (es gibt auch Agenturen, die nichts anderes im Angebot haben als Erfolg und Reichtum versprechende Firmennamen: das Stück für bis zu 80000 Yuan 2 ). In einigen Familien war einst beim Anblick eines frisch geborenen Mädchens die Enttäuschung der Eltern oft so groß, dass sie ihm einen Namen verpassten wie zhao di , »Wink den kleinen Bruder herbei«, oder lai di , »Komm, kleiner Bruder«: auf dass es beim nächsten Mal klappen möge.
Wenn Sie Chinesen treffen, die sich Ihnen vorstellen als Wang Jiefang, Zhang Jianguo oder Li Aijun, dann sind Ihre Gegenüber wahrscheinlich nicht lange nach der Revolution von 1949 geboren, übersetzt heißen sie nämlich Herr »BefreiungWang», Herr »Baut-den-Staat-auf Zhang« und Herr »Liebt-die-Armee Li« – Namen dieser Art sind nichts Besonderes, sie entsprangen dem revolutionären Überschwang der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Die Geburt eines »Widersteht-den-Amerikanern Wu« (Wu Kangmei) kann man mit einiger Sicherheit auf die Zeit des Koreakrieges (1950–1953) datieren; während der Kulturrevolution (1966–1976) wurden Namen populär, die sich direkt auf den neuen Messias, den Vorsitzenden Mao Zedong, bezogen. Eine Bekannte von mir ist das jüngste von drei Kindern, die alle in den Sechzigerjahren geboren wurden: Hintereinandergestellt ergeben ihre Vornamen Hong , Wei und Bing das Wort »Rote Garden«. Ob ihre Eltern vorher wussten, dass ihnen genau die zur Bildung dieses Wortes nötige Anzahl von Nachkommen geschenkt werden würde? Unter jüngeren Chinesen ist es heute schick, sich in der Schule oder bei Antritt einer Stelle in einem ausländischen Unternehmen zusätzlich einen englischen Vornamen geben zu lassen und diese Namen auch untereinander zu benutzen, sodass es in Peking wimmelt von Johns und Tims, von Cindys, Peggys und Sunshines. Sunshines? Viele haben die chinesische Vorliebe für sprechende Namen in die neue Sprache hinübergerettet. Nicht alle haben dabei ein glückliches Händchen bewiesen, vielleicht war es bei manchen auch ein junger Austauschlehrer aus den Staaten, der sich einen Spaß erlaubte, jedenfalls wurde in einem Hongkonger McDonald’s schon ein »Chloroform Wong« gesichtet, habe ich im Café in Suzhou die Bestellung bei einem Fräulein »Taifun Li« aufgegeben und kaufen wir unsere Flugscheine bei »Apple Liu«. Eine befreundete Pekinger Wirtin erzählte mir von ihrem Freund »Douchebag Li« (in der harmlosen Übersetzung: Volltrottel Li) und wie sie einmal eine Bewerbung erhielt von einem Studenten, dem es gefallen hatte, sich auf »Bill Gates« zu taufen.
Chinesen stellen den Familiennamen grundsätzlich vor den Vornamen und tun es damit den Bayern gleich, wo grundsätzlichder Huber Anton dem Bierbichler Xaver die Meinung sagt, wenn der sich beim Wislsperger Resl zu viel herausgenommen hat. So wie Mao Zedong der Genosse Mao war und nicht der Genosse Zedong, so ist zum Beispiel der Künstler Ai Weiwei korrekt als Herr Ai zu begrüßen und nicht als Herr Weiwei, was sich noch nicht in allen Redaktionen herumgesprochen hat. Es ist ganz einfach: Die Familie geht vor. Deshalb auch die Gepflogenheit, auf die Frage, wo man denn her sei, nicht den eigenen Geburtsort und Lebensmittelpunkt anzugeben, sondern den Stammort seines Clans. Ein junger Schanghaier, der in Schanghai geboren und aufgewachsen ist, wird sagen, seine Heimat sei die Stadt Shaoxing, wenn dort seine Ahnen zu Hause waren
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