Verdacht auf Mord
Prolog
D ie Notiz stand auf der Lunder Lokalseite des Sydsvenska Dagbladet , und zwar am Dienstag, dem 10. September. Nicht vorher.
Es war kurz nach elf Uhr vormittags. Mit einem Ruck war er in seinem Einzimmerapartment in der Kulgränd erwacht, irgendwo in einem der ländlichen, nördlichen Vororte Lunds. Rasch hatte er seine Kleider angezogen, war zügig in die Stadt geradelt und saß jetzt im Espresso House, das sich die Räumlichkeiten am üppig grünen Lundagård mit der Anzeigenaufnahme des Sydsvenska Dagbladet teilte. Die Studenten hatten, Gott sei Dank, das Café noch nicht zur Gänze in Beschlag genommen. Mit schlafwandlerischer Sicherheit sammelte er die verschiedenen Teile der Zeitung von den leeren Tischen zusammen und nahm dann auf einem Hocker am Fenster Platz. Er las den kurzen Artikel Wort für Wort, Satz für Satz, immer wieder, ohne zu merken, dass er sich die Hälfte seines Kaffees auf die Hose goss.
Das Mädchen hinter der Theke sah, was passierte.
»So ein Pech!«, rief sie mit etwas zu lauter Stimme und eilte mit einem Lappen herbei.
Stumm hob er die Zeitung an, während sie aufwischte.
»Ich kann Ihnen einen neuen Kaffee bringen.«
Nussbraune Augen, warm und liebevoll. Sie duftete nach Seife und Zimt. Oder Ähnlichem. Nach etwas Gutem.
Verwirrt ließ er seinen Blick zwischen ihr und seinen fleckigen Jeans hin und her wandern.
»Danke«, brachte er schließlich über die Lippen.
»Die Toilette ist da hinten, wenn Sie versuchen wollen, die Hose wieder sauber zu bekommen«, sagte sie lächelnd und deutete in die entsprechende Richtung.
Ratlos blieb er erst einen Moment sitzen. Er wagte es nicht, die Zeitung liegen zu lassen, weil er mit der Lektüre nicht fertig war. Wollte den Inhalt noch einige weitere Male genießen und sich vergewissern, dass er nichts in dem Artikel übersehen hatte. Absolut nichts.
In der vergangenen Woche hatte er jeden Tag die Zeitung durchgeschaut und war immer unruhiger und aufgeregter geworden.
Jetzt stand es da, schwarz auf weiß.
Mann tot im »Block« aufgefunden
Am Montag , dem 9 . September , wurde ein Mann tot in einem Putzmittelraum im Hauptgebäude der Uniklinik Lund , im Volksmund » Block « genannt , aufgefunden . Laut Kriminalinspektor Gillis Jensen von der Kripo Lund ist noch nicht geklärt , ob es sich bei dem Toten um einen Patienten handelt . Die Polizei schweigt sich weiterhin darüber aus , wo genau im Gebäude sich dieser Putzmittelraum befindet , räumt jedoch ein , dass keine der Stationen betroffen ist . Der Mann ist offenbar schon seit einiger Zeit tot , aber die Todesursache wird sich erst durch die Obduktion feststellen lassen . Im Augenblick liegen noch keine direkten Hinweise auf ein Verbrechen vor .
Er unterbrach die Lektüre und las den letzten Satz noch einmal. Begriff jetzt erst, was da eigentlich stand: … keine direkten Hinweise auf ein Verbrechen …
Es zuckte in seinen Wangen. Sein Gesicht war in den letzten Tagen erstarrt, aber jetzt glitten seine Mundwinkel fast unmerklich nach oben. Die Erleichterung war jedoch von ebenso kurzer Dauer, war genauso flüchtig wie der laue Wind des Spätsommers vor dem Fenster. Er hatte versucht, vor sich selbst wegzulaufen, dem zu entkommen, was er angerichtet hatte. Aber von innen nach außen, von der Tiefe der Seele bis hin auf die bloße Haut, war er wie mit einer dicken Schicht Teer beschmiert.
Er war ein verängstigter Idiot, ein Versager.
Man könnte ihn erwischen, ihn wie alle anderen idiotischen Versager.
Ruhig dachte er darüber nach. Er malte sich die vor ihm liegende Zeit aus. Den Herbst, die Dunkelheit, den rauen, silbrigen Nebel, der sich feucht über die Stadt legen würde, ein barmherziges Dunkel, in dem er sich verstecken konnte, bis es Zeit war, wieder ins Licht zu treten. In weiterer Ferne wurde alles leichter. Wenn nach der Schneeschmelze die ersten Schneeglöckchen blühten und ein Meer aus blauen Blümchen die Wiese vor der Unibibliothek bedecken würde. Dann würde er aufatmen können.
Das Sydsvenska Dagbladet hat den Sicherheitschef der Uniklinik , Allan Nilsson , um weitere Auskünfte gebeten , was dieser jedoch ablehnte . Von mangelhafter Sicherheit für die Patienten könne momentan nicht die Rede sein .
Das war alles gewesen. Also nicht sonderlich viele Zeilen. Nicht mal ein Hinweis auf der ersten Seite. Knapp und anonym. Also nichts Besonderes, nur ein Vorfall unter vielen.
Er holte tief Luft und spürte, wie die Verspannung seiner Schultern
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