Gebrauchsanweisung für die Welt
geleistet. Nachdem ich früher auf den Neckermann-Vollpensionisten gespuckt und den Backpacker, also mich auch, als den wahren Matador der Fremde ausgerufen hatte.
Ich knie jetzt nochmals nieder und bitte ein weiteres Mal um Nachsicht. Denn inzwischen bin ich so vielen Rucksack-Rowdies begegnet, die um ein Uhr nachts die Türen knallen, um drei Uhr nachts besoffen durch das Hotel torkeln und morgens vollgekotzte Toiletten zurücklassen. Und habe, andererseits, so manchen Dicken mit Baseballkappe über dem rosa Gesicht beobachtet, der rücksichtsvoll anderer Leute Bedürfnis nach Schlaf achtete, der höflich »Guten Morgen« sagte, der tatsächlich den Raum verließ, wenn sein Handy klingelte.
Tourist oder Reisender, der Unterschied kümmert mich nicht, nicht mehr. Ich halte nur nach jenen Ausschau, die mit Respekt unterwegs sind und bei denen ich Kerosin durch ihr Blut rauschen höre. Als Kennzeichen ihres nie zu stillenden Drangs nach – so nannte es Alexander von Humboldt – »Weltbewusstsein«. Weil sie suchen, was ihnen fremd ist, wildfremd. Weil sie in den Schatten dessen treten wollen, was sie nicht wissen, womöglich nie wissen und verstehen werden.
Das soll keinen von uns stören. Wie die Reise auch immer endet, sie ist ein Versprechen, die fabulöse Möglichkeit, sich bewusst zu werden, was der Globus alles zu bieten hat: an Horizonten, an Wahnsinn, an Mirakeln, an Wohltaten und Schandtaten, an weitschweifigsten Ideen und engstirnigsten Verirrungen.
PS: Mag sein, dass ich beim Schreiben dieses Kapitels zu wüst die Axt geschwungen habe. Über den Köpfen derer, die sich als Stückgut über »Traumstränden« abwerfen lassen. Damit aus dem Traum ein Albtraum wird. Aber ich fühle, als wäre ich die Erde selbst. Jede Warze Hässlichkeit, jeder Betonklotz, jede Schneise Raffgier in einen Wald, jeder Ruf nach noch mehr Luxus, nach noch mehr Fressen, nach noch mehr Ansprüchen, nach noch mehr »Nie-den-Hals-Vollkriegen« ist ein Schwinger auf mein Herz. Ich verkrafte sie einfach nicht mehr, die Profitganoven, deren Maß aller Dinge einzig ihre Maßlosigkeit ist. Wie sagte es Karl Lagerfeld kürzlich: »Zu viel darf nicht genug sein.« Aus dem Satz würde ich gern eine knochenharte Papyrusrolle drehen und sie ihm um die Ohren hauen. Alter muss für manche tatsächlich grausam sein. Jeden Tag landet ein neuer Nagel im Hirn. Um es abzudichten.
Gut auch, dass ich als Schreiber noch nie von dem Wahn heimgesucht wurde, dass je eine Zeile von mir einem Geistlosen beim Wiederfinden seines Geists, wenn je vorhanden, helfen könnte. Der Schafsgeist – das ist ein Widerspruch in sich – gehört zum Zeitgeist.
Was ich hier als Postskriptum gerade notierte, ist natürlich nichts als zahnloses Gewimmer. Meines. Denn der Lust, die Erde totzuschlagen, um sich an ihr zu mästen, ist nicht beizukommen. »Macht euch die Erde untertan!«, der kriminelle Schlachtruf stand schon in der Bibel. Nein, uns ist nicht zu helfen. Nicht mit Sprache, nicht mit Untergangsszenarien, nicht mit der Einführung des Dosenpfands, mit nichts. Wie ein unbesiegbarer Virus verseucht uns die Gier. Die uns kommandiert. Und von der wir uns kommandieren lassen.
Der magische Moment
Jeder, der reist, wird ihm begegnen. Vielleicht mehrmals. Eine Sekunde, einen Morgen, die halbe Nacht lang. Meistens halten wir dann den Mund. Weil der Anblick den ganzen Menschen überwältigt. Weil man instinktiv fühlt, dass Stummsein die einzige Möglichkeit bietet, damit fertigzuwerden. Denn der stille Körper verspricht die unvergesslichste Intensität. (Erst später, wenn überhaupt, ist Sprache fähig, den Rausch zu formulieren.) Jede Pore, alle fünf oder sechs Sinne werden gebraucht. Es ist der »Schaum des Augenblicksglücks« (Hermann Hesse), der jeden Kommentar verscheucht. Wie der perfekte Flow kommt er in unser Leben, wie ein Edelstein blitzt er in unser Herz, wie ein tiefer Traum verursacht er ein Zittern, ein Beben der Glückseligkeit.
Und bleibt, als Erinnerung. Und hört nicht auf zu glitzern. Immer und immer wieder werden wir anderen davon erzählen. Weil wir es nicht fassen. So rauschhaft, so hochkarätig war er, so alle Naturgesetze und Erwartungen hinwegfegend. Das Wunderliche: Er kann bombastisch daherkommen oder mit fast nichts. Er, der Schaum des magischen Moments, kann als Blitz auftreten oder mit einer Kerze. Als Mensch oder als Wort. Als winzige Begebenheit oder als vielstimmiges Wunder. Auch wahr: Was den einen erschüttert,
Weitere Kostenlose Bücher