Gedankenmörder (German Edition)
die Knie, um eine Nahaufnahme von den Hühnern zu machen. Dann lief er mit einer Behändigkeit, die man ihm gar nicht zugetraut hätte, zum Streifenwagen.
«So, du vergräbst jetzt die Hühner auf der Obstwiese», befahl Smidt dem Zivi.
Durch den jungen Mann ging ein leiser Ruck.
«Um den Hasen kümmere ich mich», sagte Smidt.
«Denk dran, um zehn Uhr sind zwei Schulklassen angemeldet. Bis dahin muss das hier alles wieder in Ordnung sein. Und kein Wort zu den Jugendlichen heute Nachmittag. Ich will keine hysterischen Mädchen auf dem Hof.»
2
Frank Steenhoff fluchte leise.
Das Bild hing schief. Eindeutig. Vorsichtig schob er den gerahmten Druck von Emil Nolde an der linken Ecke ein paar Millimeter nach oben. Aber das Bild rutschte an der glatten Wand wieder zurück in seine alte Position. Hätte er doch den Rat seiner Frau Ira angenommen und neben Hammer und Nagel auch eine Wasserwaage mit ins Büro genommen. Nun hatte er den Salat. Drei Nägel prangten bereits in der neutapezierten und frischgestrichenen Wand. Steenhoff warf einen Blick zur Tür.
Sie war verschlossen.
Er hatte keine Lust, sich beim Einrichten seines neuen Büros auch noch den Spott der Kollegen zuzuziehen. Die wussten sowieso, dass seine Frau mit Bohrmaschine und Säge besser umzugehen verstand als er. Damals als der Doppelmord an dem jungen Pärchen Steenhoff und die gesamte Mordkommission Tag und Nacht in Atem gehalten hatte, hatte Ira die Umbauarbeiten an ihrem alten Bauernhaus einfach selbst in die Hand genommen.
Niemand hätte Ira zuvor für besonders handwerklich begabt gehalten; eine Frau, die in der ausgebauten Scheune des ehemaligen Resthofes Yoga, Meditation und Richtig-Fasten-Kurse anbieten wollte. Doch mit ihrer anpackend fröhlichen Art hatte sie sich von Woche zu Woche mehr zugetraut und schließlich sogar gemeinsam mit einem Nachbarn eine neue Trennwand im Haus hochgezogen und verputzt.
Statt froh zu sein, dass der zeitraubende Umbau des Hofes auch ohne ihn weiterging, hatte die Tatkraft seiner Frau Steenhoff gekränkt. Die aufgemauerte Wand sei schief, befand er, und die Tapeten seien unsauber aneinandergeklebt.
Ira hatte sich sein Genörgel nicht lange angehört. Statt wütend zu werden, griff sie auf «Sachbeweise» zurück, wie sie ihre Verteidigung ironisch bezeichnete. Ein Senklot bewies, dass die Wand gerade aufgemauert war, und ihr Nachbar, ein früh in Rente gegangener Malermeister, bescheinigte Ira, hervorragend gearbeitet zu haben. Schließlich hatte Steenhoff einfach akzeptiert, dass seine Frau handwerklich die Geschicktere war.
Der Druck von Nolde hing immer noch schief.
Steenhoff griff nach einem weiteren Nagel und schlug ihn einen halben Zentimeter höher als den mittleren in die Wand. Dann machte er sich daran, die zu tief angesetzten Nägel wieder herauszuziehen. Doch sie steckten so fest, dass er erst eine Weile an ihnen hin und her ruckeln musste.
Zwei Löcher verrieten, wo sie eben noch gesteckt hatten.
Auch nach dem dritten Versuch hing das Bild noch schief. Es waren nur ein paar Millimeter, aber Steenhoff wusste, es würde ihn jeden Morgen, wenn er das Büro betrat, stören.
Fluchend griff er zu einer Tube Sekundenkleber und versah die Rückseite des Gemäldes mit einem daumengroßen Klecks.
Im selben Moment klingelte das Telefon.
«Mist.»
Steenhoff widerstand dem Impuls, das Bild loszulassen, und zählte innerlich die Sekunden. Nach achtmal Klingeln, entschied er, müsste das Bild fest hängen. Als es das neunte Mal klingelte, riss er den Telefonhörer ans Ohr. «Frank Steenhoff?»
Zufrieden registrierte der 46 -Jährige, dass Nolde kapituliert hatte. Das Bild hing einfach perfekt unter der kleinen Dachschräge.
«Papa, ich bin’s.» Seine Tochter klang mitgenommen.
«Auf dem Hof ist etwas Furchtbares passiert.»
Steenhoff war sofort alarmiert. «Ist etwas mit Mama?»
«Nein, doch nicht auf unserem Hof», beruhigte ihn Marie.
«Auf der Jugendfarm, auf der ich donnerstags immer reite, hat gestern Nacht jemand vier Hühner und einen Hasen getötet. Das ist echt grausam, und Daniel meint, die Polizei würde nichts weiter tun.»
«Hm.»
Steenhoff wusste nicht recht, was er seiner Tochter Tröstendes sagen sollte. Es irritierte und freute ihn zugleich, dass Marie mit ihrem Kummer zuerst zu ihm kam. Sonst war immer Ira ihre engste Vertraute.
«Kannst du deinen Kollegen nicht sagen, sie sollen mit mehreren Leuten nach dem Täter suchen? Oder ihnen am besten ein bisschen dabei
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