Gefährliche Ideen
erkennen, nimmt sich unser Unterbewusstsein vor, sie zu imitieren. Das gilt selbst dann, wenn essich um eine Idee über Kreativität handelt! In der Videobranche hatte man sich auf eine bestimmte Spielart von Kreativität geeinigt, deren Hauptmerkmal in der Hinzufügung immer neuer Funktionen und Designschnörkel bestand. Jeder wusste genau, worin Kreativität bestand, und versuchte, dieser Erwartung gerecht zu werden. Flip stand für etwas, das andere Branchenangehörige nicht einmal als Kreativität empfanden, sondern vielmehr als etwas anderes, etwas Bedrohliches.
Ein erheblicher Teil kreativer Arbeit, insbesondere in Großunternehmen (und in Büchern über Kreativität), steckt in dieser Phase fest. Das Problem ist nicht, dass die Menschen versuchen, der Kreativität auszuweichen – sie bemühen sich vielmehr durchaus, kreativ zu sein –, sondern dass sie unbewusst
nur in der ihnen vertrauten Art und Weise
kreativ zu sein versuchen. Ohne es wirklich zu begreifen, ahmen sie nur frühere Formen von Kreativität nach, denn schließlich hat man ihnen weisgemacht, dass sie genau dies tun sollten. Die meisten Bücher über Kreativität befassen sich mit dem, was früher einmal funktioniert hat, und ihre Leser in den Unternehmen führen sie sich in aller Ruhe zu Gemüte – während die wahren Erneuerer längst neue, wundersame Pfade erkunden.
Schritt 2: Erweiterung
Bisweilen glauben wir, dass wir der Imitation durch
Erweiterung
entrinnen können, das heißt durch Vergrößerung unseres Konzeptraums. Dazu eignen wir uns neue Wissensgebiete an, sammeln zusätzliche Informationen und suchen nach weiteren Lösungen. Viele Unternehmen leisten Hervorragendes in dieser Disziplin und haben davon stark profitiert. Doch Firmen können auch in dieser Phase stecken bleiben, ohne wirklich zu begreifen, warum ihnen nicht mehr Entwicklungen gelingen. Erstaunlicherweisegibt es nicht wenige Kreativitätsexperten, die kurzsichtig genug sind, Erweiterung als Königsweg anzupreisen. Problematisch ist: Erweiterung findet stets innerhalb eines vorgegebenen Rahmens statt. Das ist ungefähr so, als würde man um einen Plan herum improvisieren. Viele Unternehmen schätzen die Bequemlichkeit dieses Ansatzes, der ihnen sicher und vertraut erscheint und das Gefühl vermittelt, dass der Kernbereich ihres Geschäfts weiterhin intakt und kontrollierbar ist.
Wir denken nur selten über die Entstehungsgeschichte neuer Geschäftsmodelle nach, doch oft entspringen sie etwas weitaus Radikalerem als einer reinen Erweiterung. Ikea, der beherrschende Riese der weltweiten Möbelindustrie, verkörpert einen solchen radikalen Umbruch. Als Ikea das Konzept von preiswerten Möbeln zum Selbstaufbau einführte, geschah dies in einer Branche, die über einhundert Jahre hinweg ihren Horizont beständig erweitert hatte – mit neuen Designern, neuen Materialien und neuen Möbelarten. Doch niemand hatte es gewagt, auf
gefährliche
Art über die Grundlogik hinter dem Produkt und der Geschäftsidee als solcher nachzudenken. Ikea tat dies, und wie im Fall der Flip-Videokamera reagierte die Branche darauf mit einer Mischung aus Schock und Ungläubigkeit – und sogar Abscheu. Die »Erweiterung des Spielfelds« reicht bei weitem nicht aus, um die althergebrachte Ordnung der Dinge ernsthaft aufzuwirbeln. Deshalb müssen wir anderswo nach Inspirationsquellen suchen.
Schritt 3: Provokation
Flip und Ikea zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich nicht darauf beschränkten, nach kreativen Lösungen zu suchen, also bisherige Vorstellungen von Kreativität zu imitieren. Auch erweiterten sie nicht einfach alte Konzepte. Vielmehr ging es ihnen umetwas weitaus Schlagkräftigeres, nämlich um eine radikale
Provokation
bestehender Denkmuster. Kurz gesagt taten sie etwas, das in ihrem Bereich als dumm, bedrohlich, fragwürdig, unpassend und unmöglich angesehen wurde. Dies unterscheidet sich grundlegend von einer reinen Horizonterweiterung und gleicht eher einem Neustart des Denkprozesses. Gefährliches Denken beginnt mit so einem provokativen Bruch – jenem Moment, in dem etwas eingeführt wird, das sich in bisherige Bezugssysteme nicht einordnen lässt und daher Reibung und Unbehagen erzeugt. Um diesen Schritt gehen zu können, gilt es zunächst die Mechanismen infrage zu stellen, die uns in unserer Komfortzone gefangen halten. Dafür müssen wir die
»geheimen Schubladen« aufstoßen
(keine Sorge, wir kommen noch darauf zurück) – gemeint ist der Bezugsrahmen, der die
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