Gefaehrliche Versuchung
erleben, bei der er lächeln konnte.
Nachdem sie ihren Anteil an Hummerpastetchen gegessen und die unvermeidliche Umarmung des glücklichen Paars ertragen hatte, verschwand sie so schnell wie ein Dieb, der das Familiensilber entwendet hatte, von der Feier. Denn die Gefühle, die an einem solchen Tag vorherrschen sollten, waren ganz sicher nicht Neid oder Zynismus.
Sie hatte an Jacks und Olivias Hochzeit teilgenommen, da die beiden ihre Freunde waren. Sie waren gute Freunde, denen sie ihr Glück kaum verübeln konnte, weil sie es sich hart erkämpfen mussten und das nun feierten. Jack hatte attraktiv und unerschütterlich ausgesehen, als er sein Ehegelöbnis abgelegt hatte. Olivia hatte reizend ausgesehen und von innen heraus gestrahlt, wie jede Braut es tun sollte. Kate hatte die Feier genossen. Und dann hatte sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit die Flucht ergriffen.
Sie weigerte sich, den Gedanken zuzulassen, dass sie dadurch nicht nur ihren Cousin Diccan im Stich gelassen hatte, sondern auch ihre Freundin Grace. Sie hätte es sich nicht verziehen, wenn es nur der Tod des Chirurgen gewesen wäre, mit dem sie sich auseinandersetzen mussten. Allerdings hatte Diccan in einer unvorhersehbaren Wendung des Schicksals auch seinen Vater verloren. Schlimmer noch – es schien, als hätte Grace ihre Ehe verloren. Kate wäre geblieben, um zu helfen, wenn sie etwas hätte tun können. Doch die Feindseligkeiten zwischen ihr und ihrer Familie hätten Diccan nur noch mehr belastet. Und was Grace betraf, überlegte Kate, dass Grace und Diccan ohne ihre Freunde, die ihnen den Weg ebneten, vielleicht lernen würden, sich aufeinander zu verlassen und ihre Ehe Schritt für Schritt wiederaufzubauen.
Kate zog sich die Handschuhe an, trat aus der Tür des Angel Inn und in den grauen Nachmittag hinaus. In Guildford wimmelte es wie immer von Menschen. Die kleine Stadt lag an der Hauptverbindungsstraße zwischen London und Portsmouth. Von den beiden Herbergen der Poststation hatte Kate immer das kleinere Angel Inn an der High Street bevorzugt. Mit der Fachwerkfassade wirkte es anheimelnd, und die Bediensteten arbeiteten schnell und gut. Es dauerte nie länger als zwanzig Minuten, bis die Pferde gewechselt waren. Derweil konnte sie sich zurückziehen und eine Tasse Tee genießen.
An diesem Tag schien jedoch alles anders zu sein. Als sie in den mit Kopfsteinpflaster ausgelegten Hof trat, konnte sie ihre Kutsche nirgends entdecken. Mit viel Geschrei und Lärm wurde eine Postkutsche entladen, und dahinter wartete ein offener Zweispänner. Kate blickte sich ungeduldig um. Sie wollte weiter.
Von links drang ein unterdrücktes Schluchzen an ihr Ohr. Sie lächelte. »Bea«, schimpfte sie ihre Freundin sanft aus und legte die Hand auf den Arm der alten Dame. »Es ist so spießbürgerlich, wegen einer Hochzeit zu weinen, die schon vor zwei Tagen stattgefunden hat.«
Während Kate die Pracht einer Hochzeit genoss, ergab Bea sich den sentimentalen Gefühlen. Seit sie in die kleine Kirche St. Mary in Bury gegangen waren, in der unglaublich viele Freunde und noch mehr Sommerblumen gewesen waren, hatte sie nicht mehr aufgehört zu weinen.
»Odysseus und Penelope«, antwortete ihre Freundin unerklärlicherweise. Währenddessen tupfte sie sich die Augen mit einer der schon erwähnten weißen Flaggen ab – wobei diese mit den Honigbienen umrandet war, die Bea auf so viele Dinge stickte.
»Ja«, erwiderte Kate und drückte ihren Arm, »es war sehr schön, zu sehen, wie Jack und Olivia geheiratet haben, nachdem sie so lange Jahre getrennt waren.«
»Devonshire«, entgegnete Bea und blickte beseelt Kate an.
Um sich die Bedeutung dieses Wortes zu erklären, musste Kate länger nachdenken. »Devonshire? Der Duke? War er eingeladen?«
Bea funkelte sie an, was bei dieser groß gewachsenen Dame mit den eleganten silberweißen Haaren sehr eindrucksvoll wirkte. »Georgianna.«
Kate runzelte die Stirn und fragte sich, was die selige Duchess of Devonshire mit dem frischgebackenen Earl und der Countess of Gracechurch zu tun hatte. Georgianna war mit einem kalten Fisch verheiratet gewesen, der seine Geliebte und die Kinder im selben Haus wie seine gesetzmäßige Familie untergebracht hatte. Jack hatte sich lediglich von seiner Frau scheiden lassen und fünf Jahre gebraucht, um den Fehler wieder zu berichtigen.
»Ungerecht?«, riet Kate.
Bea strahlte.
»Für wen?«, fragte Kate und wurde sich der Blicke bewusst, die die Reisenden und die
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