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Gefaehrliche Versuchung

Gefaehrliche Versuchung

Titel: Gefaehrliche Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eileen Dreyer
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unverzeihlichen Dranges zu weinen. Und das wegen etwas, das schon vor zehn Jahren passiert war.
    Vermutlich hätte sie über die Dinge, die Harry ihr über ihren Vater erzählt hatte, überrascht sein sollen. Schockiert. Was sie allerdings wirklich schockierte, war, dass sie nicht überrascht war. Sie war nur schrecklich traurig, hatte Angst und schämte sich.
    Warum hatte ihr Vater das alles behauptet? Was hatte sie so Schlimmes getan, dass er sie beschuldigte, mit fünfzehn Jahren bereits herumzuhuren? Und dann auch noch mit George. Egal, wie sehr sie sich auch bemühte, sie konnte sich an keine Grenzüberschreitung erinnern, die ihren eigenen Vater gegen sie hätte aufbringen können.
    Wenn es einen solchen Moment gegeben hatte, dann hätte sie sich gewiss daran erinnert, denn dieser Moment hätte alles für sie verändert. Aber ihr Leben hatte sich zu keinem Zeitpunkt schlagartig verändert. Von den ersten Erinnerungen an hatte sie immer gleich gelebt. Der Koch hatte sie verhätschelt, und George hatte sie in den Arm genommen, doch meistens war es ihr vorgekommen, als wäre sie Luft gewesen. Als wäre sie gemieden worden, ohne den Grund dafür zu kennen.
    Sie hatte sich bemüht, die unsichtbare Mauer zu durchbrechen – vor allem bei ihrem Vater. Sie hatte sorgfältig geschriebene Briefe für ihn hinterlassen, selbst gemalte Bilder. Sie hatte Sperlingsnester für ihn gesammelt. Sie hatte Wildblumen zu kleinen Sträußen gebunden und ein Stück Stoff mit den Worten Ehre Vater und Mutter bestickt. Er hatte diese Geschenke nicht einmal zur Kenntnis genommen.
    Tante Maude hatte ihr erklärt, dass ihr Vater sie nicht anblicken könne, weil sie ihrer Mutter so ähnlich sei, die sie umgebracht hatte. Doch Kate hatte es immer besser gewusst. Woher sollte er schließlich wissen, dass sie ihrer Mutter so ähnlich sah? Er hatte ihre Mutter doch noch gar nicht gekannt, als diese neun Jahre alt gewesen war.
    Kate hatte immer vermutet, dass mehr dahinterstecken musste. Ein Fehler, der nur bei näherem Umgang mit ihr sichtbar wurde. Es war der einzige Grund, der ihr einfiel, warum ein Mann, der von allen geliebt wurde, sie nicht lieben konnte. Hatte sie etwas an sich, von dem gute Menschen sich abgestoßen fühlten und bei dem böse Menschen sich in Ungeheuer verwandelten? Hatte sie keinen anderen Mann als Murther verdient? Sie hatte nie den Mut gehabt, ihn zu fragen.
    Nein, das stimmte nicht. Zweimal hatte sie all ihren Mut zusammengenommen. Beim ersten Mal war sie gerade von ihrem Vater zur Rechenschaft gezogen worden, weil sie ihre Schwester eine dumme Xanthippe genannt hatte. Sie hatte vor seinem großen Schreibtisch aus Eichenholz gestanden, die Hände wie ein liebes Mädchen hinter dem Rücken verschränkt, das Gesicht sauber geschrubbt und das Haar ordentlich mit einem Ripsband zu einem Zopf gebunden. Sie hatte nicht genau gewusst, ob sie aufgeregt sein sollte, weil sie ihren Vater sehen durfte, oder ob sie Angst vor seinem Unmut haben sollte.
    »Dolores Catherine«, hatte er gesagt und sie kaum angesehen, »deine Schwestern sind erwachsene Frauen mit eigenen Familien. Sie verdienen es, dass du sie respektierst und ihnen gehorchst.«
    »Aber Frances hat gesagt, dass du mich hasst«, hatte sie, ein elfjähriges Mädchen, entgegnet und gezittert. »Sie hat gesagt, dass jeder mich hasst.«
    Da war es gewesen, erinnerte sie sich. Dieses unmerkliche Zusammenzucken, diese flüchtige Grimasse, als wäre das Gefühl, das ausgelöst worden war, heftig und unangenehm. Dieses lange, kalte Schweigen.
    »Unsinn.«
    Sie konnte sich nicht erinnern. Hatte sie gezittert, oder hatte sie der Wahrheit zum Trotz die Schultern gestrafft? »Warum sollte sie so etwas sagen?«, hatte sie gefragt.
    Doch er hatte ihr erklärt, dass ihre Unterhaltung vorbei wäre, und sie weggeschickt, ohne dass sie Antworten auf ihre Fragen bekommen hätte.
    Als sie ihn zum zweiten Mal gefragt hatte, hatte er sie geschlagen.
    Sie wusste, dass sie unverzeihlich rührselig war. Ihr Vater war seit vier Jahren tot. Sie würde von ihm keine Antworten mehr bekommen. Aber plötzlich fühlte sie sich klein, unbedeutend und allein, und sie wusste nicht, was sie dagegen tun sollte. Hilflos, hörte sie die Stimme in ihrem Kopf, als wenn sie im Dunkeln sitzen würde. Wertlos.
    Promiskuitiv. Zum Glück würde George nie verstehen, was sein geliebter Onkel ihm vorgeworfen hatte.
    Und Harry. Oh Gott, was sollte sie seinetwegen tun? Wie sollte sie weiter an ihrem Unmut

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