Gefährliches Begehren
solche Feierlichkeit besuchen würde?«
Nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Cross’ Partys waren berüchtigt für den lasziven Wahnsinn, der sich auf ihnen abspielte. Niemand gab jemals zu, eine besucht zu haben, aber es gab Gerüchte über die Dinge, die dort vor sich gingen.
»Ich halte es für gewiss.« George war kein Mann, der sich lasziven Ablenkungen gegenüber verschloss. Mehr noch, Georges kürzliche Enttäuschung – um es milde auszudrücken – mit den Vieren bedeutete, dass ein neuerliches königliches Über-die-Stränge-Schlagen überfällig war.
Umsiedlung. George könnte in Schwierigkeiten sein. Wieder einmal.
Diese Sache wollte Stanton nicht in die Hände von Leuten niedereren Standes delegieren – was könnten die Liars schon ausrichten? Nur Personen seines Standes und höher – und auch nicht viele davon – konnten dem Prinzregenten nahe genug kommen und in seiner Nähe bleiben, wenn der Mann es nicht wollte, nicht einmal seine Bettgefährtinnen.
Bettgefährtinnen.
Laszive Ablenkungen.
Plötzlich erinnerte sich Stanton, in welchem Zusammenhang er schon von Lady Alicia Lawrence gehört hatte.
Vor fünf Jahren war eine junge Debütantin mit einem Stallburschen im Bett erwischt worden, einem einfältigen Stallburschen, um präzise zu sein.
Stantons bemüht höfliche Fassade fing an zu bröckeln. Diese verwaschene und schlecht sitzende Verkleidung verbarg eine der schlimmsten Skandalnudeln der letzten Jahre. Sie hatte die Grundfesten der guten Gesellschaft erschüttert. Wie üblich waren die wilden Taten der jungen Dame zum Stoff von Legenden geworden. Der Aufruhr hatte selbst im letzten Winkel der Gesellschaft Widerhall gefunden, und die wohlbehüteten Töchter Englands wurden seither noch genauer beobachtet.
Die Frau ihm gegenüber war eine in Verruf geratene Kokotte. Was für eine Zeitverschwendung!
Er stand auf. »Habt vielen Dank, meine Dame. Ich will Euch nicht länger aufhalten.«
Auch sie erhob sich, blieb aber stehen. Er konnte spüren, wie ihr Blick ihn durch den Schleier hindurch taxierte.
»Ich sehe, dass Euer Gedächtnis Euch nicht im Stich lässt, Wyndham. Ich nehme an, Ihr habt Euch gerade meines Rufes erinnert.«
Er verbeugte sich flüchtig. »Lady Alicia, ich bin ein viel beschäftigter Mann.«
»Natürlich.« Sie knickste nicht, sondern drehte sich einfach um und stolzierte aus dem Raum. »Ihr müsst mich nicht zur Tür begleiten. Ich habe darauf geachtet, mir die Lage des Ausgangs zu merken. Es ist am besten, immer vorbereitet zu sein.« Mit diesen Worten war sie verschwunden.
Was für eine erstaunliche Zurschaustellung von schlechten Manieren! Er hatte wirklich genug von ihr. Er drehte sich um, um selbst aus dem Zimmer zu gehen. Jetzt konnte er seine Aufmerksamkeit endlich wieder Wichtigerem zuwenden.
Doch verdammt! Seine Neugier ließ ihm keine Ruhe, obschon die Frau ganz offensichtlich geistig gestört war. Er wollte mehr erfahren, aber ihn schauderte bei dem Gedanken, diese Kreatur noch einmal in sein Haus kommen zu lassen.
Wo war dieser Brief? Ah, sie hatte ihn auf dem Nebentischchen liegen gelassen.
Stanton nahm die gefalteten Blätter in die Hand und entfaltete sie umgehend. Gut, sie hatte tatsächlich den ganzen Vorfall für ihn aufgeschrieben. Sie gab sich wirklich große Mühe, ihrer Geschichte Gewicht zu verleihen.
Dann fiel sein Blick auf das Wort »Narbenmann«.
Teufel noch mal! Im Augenblick gab es nur einen Narbenmann, um den er sich Gedanken machte.
Die Schimäre.
Er drehte sich abrupt um und rannte aus dem Haus, der Frau hinterher, aber sie war fort. Auf der Straße war keine Mietdroschke und auch keine schäbig gekleidete Fußgängerin zu sehen.
Lady Alicia war verschwunden.
2. Kapitel
S obald Stanton aufgegeben hatte, seine merkwürdige Besucherin zu verfolgen, hatte er damit angefangen, Recherchen über die Frau anzustellen. Seine erste Anlaufstelle war Diamond House.
»Lady Alicia Lawrence?« Stantons Kusine Lady Jane – oder Mrs Damont, wie sie jetzt genannt werden könnte, was aber niemand tat – runzelte die Stirn. »Vielleicht habe ich die Leute über sie tratschen hören … aber ich habe nicht aufgepasst.« Sie schenkte ihnen Tee ein, dann lächelte sie ihn mit funkelnd grünen Augen an. »Warum? Hast du endlich dein Auge auf jemanden geworfen, Wyndham?«
Er atmete heftig aus. »Um Himmels willen!« Geistesabwesend nahm er den Tee und lehnte sich in dem breiten Ohrensessel zurück, den Jane ihm angeboten hatte. Er
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