Geheime Melodie
Wangen solche Tränenbäche strömten, als würden s ämtliche Naturgewalten herandrängen, um bei dem Spektakel dabeizusein. Fragt man einen Abendländer, wo Kivu liegt, so wird er mit bedauerndem Lächeln den Kopf schütteln. Fragt man einen Afrikaner, dann sagt er »im Paradies«, denn genau das ist es: ein zentralafrikanisches Paradies aus dunstverschleierten Seen und vulkanischen Bergen, smaragdgrünen Weiden, üppigen Obsthainen und und und …
Im siebzigsten und letzten Jahr seines Lebens war die gr ößte Sorge meines Vaters, er könnte mehr Seelen in Ketten gelegt als befreit haben. Die vatikanischen Missionare in Afrika, so er, waren gefangen in einem ewigen Dilemma zwischen dem, was sie dem Leben, und dem, was sie Rom schuldeten, und ich war Teil dessen, was er dem Leben schuldete, sosehr das seine Glaubensbrüder auch empörte. Wir beerdigten ihn auf Swahili, wie er es sich gewünscht hatte, doch als es an mir war, an seinem Grab »Der Herr ist mein Hirte« zu lesen, tat ich das in meiner ganz persönlichen Übersetzung, auf Shi, das er von allen Sprachen des Ostkongo am meisten liebte, weil es so kraftvoll und dabei so geschmeidig ist.
Uneheliche Mischlings-Schwiegers öhne fügen sich nicht nahtlos in die Gesellschaftsstrukturen des reichen Surrey – eine altbewährte Regel, von der Penelo-pes Eltern keine Ausnahme bildeten. Im richtigen Licht, so hatte ich mir als Heranwachsender oft gesagt, sehe ich mehr nach sonnengebräuntem Iren als nach mittelbraunem Afrikaner aus, und mein Haar ist glatt und nicht kraus, was keine geringe Assimilationshilfe ist. Aber so leicht ließen sich Penelopes Mutter und die anderen Damen aus dem Golfclub nicht t äuschen, und der größte Alptraum der armen Frau war und blieb, ihre Tochter könnte ein kohlschwarzes Enkelkind in die Welt setzen. Was vielleicht Penelopes Zaudern erklärt, die Probe aufs Exempel zu machen, auch wenn ich im Rückblick meine Zweifel daran habe: schließlich hatte sie mich nicht zuletzt in der Absicht geheiratet, ihre Mutter zu schockieren und ihrer kleinen Schwester den Rang abzulaufen.
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An dieser Stelle vielleicht ein paar Worte über den Lebenskampf meines lieben Vaters selig. Sein Eintritt in die Welt, so versicherte er mir, war um keinen Deut glatter verlaufen als der meinige. Geboren 1917 als Sohn eines Korporals der Royal-Ulster-Füsiliere und eines vierzehnjährigen Bauernmädchens aus der Nor-mandie, das zufällig des Weges spaziert kam, verbrachte er seine Kindheit auf dem Rangiergleis zwischen einer Kate in den Sperrin-Bergen und einer anderen in Nordfrankreich, bis ihm sein Fleiß und seine ererbte Zweisprachigkeit zu einem Platz in einem Priesterseminar im tiefsten Donegal verhalfen, wodurch er seine jungen Füße unbedacht auf den Pfad Gottes setzte.
Zur ück nach Frankreich geschickt, wo sein Glaube letzten Schliff erhalten sollte, durchlitt er klaglos nicht enden wollende Jahre zermürbender Unterweisung in katholischer Dogmatik, doch kaum war der Zweite Weltkrieg ausgebrochen, schnappte er sich das nächstbeste Fahrrad, welches sich zu der Zeit, wie er mit ty pisch irischem Schalk hervorhob, in gottlosen Protestantenh änden befand, und strampelte, was die Pedale hergaben, über die Pyrenäen nach Lissabon. Als blinder Passagier auf einem Trampschiff nach dem damaligen Leopoldville entging er den Aufmerksamkeiten einer Kolonialregierung, der herumstreunende weiße Missionare ein Dorn im Auge waren, und schloß sich einer abgelegenen Bruderschaft an, die sich der Bekehrung der über zweihundert Stämme des Ostkongo verschrieben hatte, noch unter günstigsten Bedingungen ein ehrgeiziges Ziel. Wenn schon ich mir von Zeit zu Zeit den Vorwurf zu großer Impulsivität einhandle – man sehe sich meinen seligen Vater auf seinem Ketzerfahrrad an!
Mit der Hilfe einheimischer Konvertiten, deren Sprachen er als Naturtalent im Nu erlernte, brannte er Ziegel und verm örtelte sie mit rotem Lehm, den er mit den eigenen Füßen weichstampfte, zog Gräben durch die Hänge und hob zwischen den Bananenhainen Latrinen aus. Dann wurde gebaut: zuerst die Kirche, dann die Schule mit ihren beiden Glockentürmen, dann das Marien-Hospital. Dem folgten die Fischteiche und die Obst- und Gemüseplantagen zur Eigenversorgung, denn dies erschien ihm als seine dringlichste Berufung in einer Region, in der alles so reichlich gedieh – ob es nun Maniok war, Papayas, Mais, Sojabohnen, Chinin oder Kivus Walderdbeeren, die die besten der ganzen Welt
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