Geheimnisvolle Palmblätter: Ist unser Leben Schicksal oder Zufall, Karma oder Chaos? (German Edition)
Palmblattlesung würden filmen dürfen.
Zunächst lugte ein Kind aus der sich halb öffnenden Tür hervor, dann kam eine ältere Frau, die leider kein Englisch verstand, schließlich begrüßte uns die Frau des Hauses, eine liebenswürdige Mutter dreier Kinder und bat uns, doch Platz zu nehmen. Sie wolle ihren Mann verständigen.
„Sie haben Glück“, meinte Gunjur Sachidananda Murthy, der Palmblattübersetzer, als er in malerischer Kleidung zu uns kam. „Wir bereiten gerade die Feier für den Gottesaspekt des Glücks, für `Ganesh' vor, das ist ein besonders gesegneter und verheißungsvoller Tag.“ Er war gern bereit, mit uns zu sprechen und uns auch bei einer Lesung am folgenden Tage filmen zu lassen. Leider könne er es aber in der kurzen Zeit nicht bewerkstelligen, nachzuforschen, ob für Johannes oder mich ein Palmblatt in dieser Sammlung vorhanden sei. Ganz stolz zeigte er eines der deutschen Bücher von Johannes, das seinen Weg bis nach Bangalore gefunden hatte. In ihm hat der bekannte Bestsellerautor unter anderen Themen auch einige Erlebnisberichte von Besuchern dieser Zukunftsbibliothek vorgestellt.
Herr Murthy berichtete von seinem Vater, Narayan Shastri, der ein wunderbarer Kenner des Sanskrit gewesen, aber leider verstorben sei. Mr. Murthys Bruder wurde zum Nachfolger bestimmt, erlag aber nach wenigen Jahren einer unheilbaren Krankheit. So sei nun er es, der die Tradition der Palmblattlesungen aufrecht erhalte. Am Anfang sei es für ihn gar nicht leicht gewesen, sich in all den vielen Bedeutungen bestimmter Sanskritworte sicher zurechtzufinden. Und sein Englisch sei leider auch nicht so gut, daß er immer das richtige Wort fände.
Er zeigte uns einen Teil seiner „Schätze“: einige hundert Bündel von länglichen Palmblättern, die zwischen Holzdeckeln zu sogenannten Büchern mit roten Seidenschnüren zusammengebunden waren. Im persönlichen Gespräch und im Fernsehinterview erläuterte er, wie es möglich sei, daß auf verhältnismäßig wenigen Palmblättern so ungeheuer viel Information stehen könnte.
„Die Palmblätter sind wie Computerdisketten: auf wenig Raum hat viel Information Platz. Die Schrift ist klein, aber vor allem bergen Sanskritworte oft mehrfache Bedeutungen gleichzeitig. Dann kommt es auf die Bildung und Sprachgabe sowie auf das Einfühlungsvermögen des übersetzers an, die richtige Bedeutung für den Fragesteller zu finden.“
Bei Ortsnamen, bei Berufsbezeichnungen oder bei Familienverhältnissen müsse er alte Begriffe und Redewendungen auf moderne Gepflogenheiten hin „interpretieren“. Leider sei er noch nicht so geübt, um immer fehlerfrei übertragen zu können, er bemühe sich aber sehr darum, sich zu verbessern.
Gunjur Sachidnanada Murthy wies uns übrigens ausdrücklich daraufhin, daß er es ablehnt, irgendwelche Zahlungen anzunehmen oder mit einer brieflichen Anfrage zugesandt zu erhalten, bis nicht sichergestellt sei, ob es überhaupt eine Palmblattinformation für den oder die Fragesteller/in gibt. Auch könne er nur das annehmen, was freiwillig gegeben werde. Immerhin bekam ich bei meinem zweiten Besuch im Februar 1994 heraus, daß ein Betrag zwischen zweihundert und dreihundert indische Rupien angemessen zu sein scheint, also etwa zehn bis dreißig Mark.
Auf die Frage, ob denn für Suchende, die zu mehr als einer Palmblattbibliothek fahren, nur an einer oder an mehreren Stellen „ihre“ Palmblattorakel liegen, meinte er, daß jeder Mensch zu „seiner“, also zu einer einzigen „Schicksalsbücherei“ gehöre.
Ich greife vor, um an dieser Stelle anzumerken, daß die Auskunft in Hoshiarpur anders lautete. Dort hieß es, es sei durchaus möglich, in mehreren Bibliotheken persönliche Informationen zu finden. Die Art und die Tiefe seien aber vom Charakter der jeweiligen Bibliothek beziehungsweise von deren Urheber abhängig: Je weiter der Urheber spirituell entwickelt gewesen sei, desto umfassender und treffender habe er die entsprechenden Botschaften hinterlegen können. Bei anderen Bibliotheken könne man jedoch durchaus immerhin Teilaspekte des eigenen Lebens aufgezeichnet finden.
Am nächsten Tag erlebten wir zwei Lesungen, mit einem Deutschen und einer Amerikanerin, deren Sitzung wir filmen durften. Sie war hinterher geradezu überwältigt von der Genauigkeit der Auskünfte und fühlte sich auf ihrem weiteren Lebensweg stark ermuntert. Wir sahen, daß ein junges japanisches Pärchen vorsprach und zwei ältere Engländerinnen. Der Hauptteil der
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