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Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Titel: Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Hooper
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wurden all die Dinge feilgeboten, die selbst die Ärmsten nicht entbehren konnten: Viele mussten zwar ohne Schuhe auskommen, doch alle benötigten etwas zu essen und Kleidung. Die Kleider, die man in Seven Dials kaufen konnte, waren niemals neu, sondern immer aus zweiter, dritter oder vierter Hand: abgelegte Damenkleider, Hüte, Schuhe, Strümpfe, verknitterte Unterröcke, ausgefranste Jacken und löchrige Schultertücher. Eine ganze Reihe von Läden bediente Vogelfreunde, und so konnte man hier fast jede Art von Tauben, Vogelwild und Hühnern finden, nebstDrosseln, Finken und anderen Singvögeln. Einige Läden am Südrand von Seven Dials boten billige Haushaltsgegenstände zum Verkauf an: Besen, Kehrschaufeln, Staubwedel, Waschschüsseln und Putzlumpen, denn selbst die ärmste Frau wusste, dass Sauberkeit gleich hinter Frömmigkeit rangierte, und mühte sich, einen gewissen Standard zu halten.
    Mrs   Macreadys Mietshaus am Brick Place in Seven Dials verfügte über vier Stockwerke mit je zwei Zimmern sowie einen feuchten, schimmlig-grünen Keller. Mrs   Macready selbst wohnte im Erdgeschoss und wachte über das Kommen und Gehen im Haus, über ein Kontobuch mit den Mieten und eine Küche, die die Mieter für einen Halfpenny oder zwei benutzen durften. Es gab einen provisorischen Abtritt im Hinterhof und auch einen Brunnen, doch wegen der räumlichen Nähe der beiden zueinander war das Wasser aus dem Brunnen verschmutzt und nicht trinkbar – ein paar Jahre vorher waren einige von Mrs   Macreadys Mietern und weitere aus dem Nebenhaus deswegen sogar an Cholera gestorben. Seither holten sich alle brav ihr Wasser in Eimern, Wasserkesseln und Töpfen an einem Standrohr auf der Straße.
    Mrs   Macready war eine resolute und heitere Dame, die die alten, zurückgelassenen Kleider ihrer Vermieter auftrug, wenn diese weiterzogen, egal wie zerlumpt sie sein mochten und ob es sich um Frauen- oder Männerkleider handelte. So konnte es sein, dass sie eine zerschlissene Spitzenbluse unter einem altenJackett trug oder einen knittrigen Rock zu einem abgetragenen Schal und Weste und das Ganze mit einem Hut mit künstlichen Blumen krönte. Aus strikter Überzeugung und Menschenfreundlichkeit vermietete sie jedes Zimmer nur an eine einzige Familie, und ihre Mietpreise lagen deutlich unter dem üblichen Niveau. In der Tat verlangte sie so wenig, dass ihr nicht genügend Geld blieb, um das Haus instand zu halten, das inzwischen hoffnungslos baufällig war. Wenn es denn eines Tages um sie herum einstürzen sollte, pflegte sie zu sagen, so würde sie zu ihrem wohlhabenden Sohn in Connaught Gardens hinausziehen.
    Während Grace mit dem Nekropolis-Zug zum Friedhof in Brookwood hinausfuhr, harrte ihre Schwester Lily im kleinsten Zimmer des zweiten Stocks von Mrs   Macreadys Mietshaus ungeduldig ihrer Rückkehr. Ohne Unterlass vor sich hin seufzend, hielt sie durch das rußige Fenster hindurch nach ihr Ausschau. Grace war nun schon eine Ewigkeit lang fort, was um alles in der Welt trieb sie denn bloß die ganze Zeit? Dauerte es denn so lange, ein Baby zu bekommen? Nein, wirklich, sie war jetzt schon einen ganzen Tag und eine Nacht lang fort – oder waren es schon zwei?
    Lily wusste, dass ihre Schwester mit einem Baby zurückkommen würde, denn Grace hatte ihr in einfachsten Worten erklärt, dass in ihrem Bauch ein kleines Baby war, und dass sie jemanden suchen musste,der ihr half, es herauszuholen. Währenddessen sollte Lily, so die Anweisungen ihrer Schwester, zum Markt gehen und Brunnenkresse kaufen (wie das ging, wusste sie, da sie Grace schon oft begleitet und zugesehen hatte, wie diese mit den Markthändlern feilschte), die Kresse in kleine Sträußchen zerteilen und sie dann, wie jeden Tag, auf der Straße feilbieten. Am Vortag hatte sie die Anweisungen auch getreu ausgeführt, doch weil sie sich zu lange nicht entscheiden konnte, welche Kresse sie kaufen sollte, hatte sie den morgendlichen Strom der Arbeiter verpasst. Zu allem Übel hatte es auch noch den ganzen Tag geregnet, so dass sich kaum eine Hausfrau auf der Straße blicken ließ, und obwohl Lily bis nach sechs unterwegs gewesen war, hatte sie nicht genügend von ihren Kressesträußchen verkauft, um ihre Ausgaben wieder wettzumachen. Sie hatte sich eine Fleischpastete zum Abendessen gekauft – das hatte Grace ihr ausdrücklich erlaubt   –, doch auf dem Heimweg war sie auf einen Taschenspieler gestoßen, der ihr angeboten hatte, die Münzen in ihrer Tasche zu verdoppeln,

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