Gehirnfluesterer
die Situation völlig veränderte. Es hob uns geradezu aus den Sitzen.
»IST DAS WAHR, SIE ARSCHLOCH? WARUM HALTEN SIE DANN NICHT EINFACH IHRE BLÖDE KLAPPE?«
Plötzlich herrschte Schweigen in der gesamten Kabine. Ironischerweise gingen gleichzeitig die Anschnallzeichen an.
Ein Passagier auf dem Sitz vor dem Nörgler, ein berühmter Musiker, hatte sich zu ihm umgedreht.
»Ist das jetzt besser so?«, fragte er. »Wenn nicht, dann kann ich gerne weitermachen.«
Kein Mensch sagte ein Wort. Alle waren wie zur Salzsäule erstarrt. Aber dann, als ob irgendjemand einen Schalter umgelegt
hätte, fing unser Nörgler plötzlich an … zu lächeln. Dann lachte er. Dann bog er sich fast vor Lachen.
Der Steward verzog sich. Das Problem war mit ein paar einfachen Worten gelöst. Es war ein erneuter Beleg für einen Spruch
meines alten Englischlehrers: »Man kann so unverschämt sein, wie man will, solange man nur höflich bleibt.«
Wie hätten Sie in einer solchen Situation reagiert? Was hätten Sie getan? Wie wäre ich damit umgegangen? Nicht besonders gut,
denke ich. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass es genau solche Situationen sind, die den Unterschied
ausmachen. Dabei geht es nicht nur um den einen oder anderen psychologischen Volltreffer, es geht um die Leute, die sie landen.
Vergessen Sie den Musiker für einen Moment. Nicht immer ist jemand von diesem Kaliber anwesend. Aber Stewards, ganz zu schweigen
von Polizisten, Militärs, Unterhändlern, Ärzten, Krankenschwestern und Sozialarbeitern sind tagaus, tagein mit solchen Situationen
konfrontiert. Es sind Menschen, die in der Kunst der Überzeugung geübt sind. Die erprobte Methoden nutzen, um die Situation
zu klären. Dazu gehört es, eine Beziehung zu der anderen Person aufzubauen. Sie in ein Gespräch zu verwickeln. Und sich gleichzeitig
ruhig, geduldig und empathisch zu zeigen. Methoden also, die durch soziale Prozesse begründet sind. Aber offensichtlich gibt
es auch Naturtalente. Menschen, die kein solches Training brauchen. Die befähigt sind, andere zum Umdenken zu bewegen. Und
zwar nicht durch Verhandlung, Dialog oder die Regeln von Geben und Nehmen. Sondern einfach nur durch ein paar simple Worte.
Das klingt verrückt, ich weiß. Am Anfang dachte ich das auch. Aber bald hatte ich eine überwältigende Menge von Belegen aufgestöbert,
zufällige, anekdotische, sinnbildliche, die mir alle darauf hinzuweisen schienen, dass es solche Hexenmeister gibt. Und, was
noch wichtiger ist, dass es sich nicht immer nur um die Guten handelt.
Den Code der Überzeugung knacken
In diesem Buch geht es also um Überzeugung. Aber um eine ganz spezielle Art der Überzeugung, mit einer Inkubationszeit von
Sekunden und einer Evolutionsgeschichte, die ein bisschen länger ist. Inkongruenz und Überraschung sind offensichtlich Schlüsselkomponentendafür. Aber das ist nur der Anfang. Dafür, ob wir das Angebot annehmen oder nicht, sind noch vier weitere Faktoren entscheidend:
Einfachheit, gefühltes Eigeninteresse, Selbstvertrauen und Einfühlungsvermögen. Diese Faktoren sind integraler Bestandteil
der Macht der Überzeugung. Zusammen ergeben sie einen definitiv wirksamen Beeinflussungscocktail. Und das umso mehr, je direkter
er eingesetzt wird, je weniger verunreinigt er ist durch Rhetorik oder Kabbeleien. Winston Churchill wusste das offenbar.
Und die Stewardess, die es damals mit dem Champion aufgenommen hat, auch. Einen eindeutigeren Knockout hat Muhammad Ali vermutlich
nie erlebt.
Es hat auch etwas mit dem Eigeninteresse des Objekts der Beeinflussung zu tun. Selbstverständlich ist Beeinflussung nicht
immer im tatsächlichen Eigeninteresse des Objekts. Aber wenn das Objekt das so wahrnimmt, dann ist der Versuch der Beeinflussung
viel effektiver. Es geht um eine Art der Überzeugung, die einem alles verschaffen kann, was man haben will. Reservierungen,
Verträge, Gewinne, Babys. Alles. Vorausgesetzt, die Beeinflussung liegt in den richtigen Händen. In den falschen Händen kann
das Ergebnis desaströs sein. So brutal und tödlich wie jede nur denkbare Waffe.
Einige von uns sind besser in der Kunst der Überzeugung als andere. Wie bei allen anderen Fähigkeiten gibt es auch hier ein
breites Spektrum an Talent, in dem wir alle unseren Platz finden. Am einen Ende die, denen es nie gelingt, die alles am falschen
Ende anpacken und manchmal gar nichts zu fassen bekommen. Am anderen Ende haben
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