Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)
unterdrückte er bei der Umklammerung heroisch den Schmerzensschrei, nach dem seine wehe Schulter verlangte.
„Jaja, mein Schatz, ist gut jetzt. War doch alles nur halb so schlimm“, versuchte Herr Schweitzer seine Maria zu beruhigen, die ihre Tränen nur mühsam unterdrücken konnte. Er kam sich vor wie in einer dieser Vorabendserien, zu denen sich das deutsche Fernsehvolk magisch hingezogen fühlt, weil die so schön schnulzig sind und das Volk lieber schmachten als denken mag. Da ändert sich auch nichts mehr dran. Da mögen die Kommunisten noch so viel agitieren, wenn sie das nicht begreifen, ist es ein für allemal Sense mit dieser Ideologie. Ist es abgesehen von Kuba und China ja eh fast schon.
Die Oberkommissarin drängte Herrn Schweitzer, sich doch ins Krankenhaus fahren zu lassen, um sich mal richtig nach eventuell noch nicht diagnostizierten Verletzungen durchchecken zu lassen. Doch Herr Schweitzer war ein Dickkopf und erlaubte dem Arzt lediglich, zwei durch die Zementsplitter verursachten, kleine Wunden im Gesicht mit Jodtinktur und Pflaster zu versorgen, sowie die geprellte Schulter mit einer homöopathischen Salbe einzureiben und dann mit einer Bandage ruhig zu stellen. Das letzte Mal sei er nämlich bei seiner Geburt im Krankenhaus gewesen und wegen Bagatellen wie diesen werde er seinem Grundsatz schon mal aus Prinzip nicht untreu. Und falls sich doch noch ein Kopfschuß herausstellen sollte, werde er morgen früh, das sei zeitig genug, zum Onkel Doktor gehen, außerdem wolle er heute abend unter allen Umständen ins Weinfaß, basta.
„Mach’s gut, Alter“ sagte Uzi und reichte ihm wohlerzogen die Hand, was gewißlich nicht der szenegetreue Abschiedsgruß der Punker war.
„Ja, mach ich, und paß auf dich auf.“
„Worauf du einen lassen kannst.“ Uzi drehte sich um und ging. Das Fuck auf ihrer Lederjacke kam der Sache schon näher, auch wenn sie nicht roch.
Dann erschienen die Japaner, und Kogyo überreichte ihm den Bildband, den er selbst heute morgen zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. „Thank you for everything.“ Herr Schweitzer war zu Tränen gerührt. Irgendwo hatte er einmal gelesen, daß Asiaten es einem übelnahmen, lehnte man ihre Geschenke ab. Also nahm er an. „Thank you too.“ Dann gingen sie zu ihrem Taxi nach Heidelberg. Ihre Lebenslinien hatten sich nur kurz, aber prägnant gekreuzt.
„Es hat mich gefreut, deine Bekanntschaft zu machen“, verabschiedete sich auch Oma Hofmann. „Dienstags bin ich immer im Lesecafé, wenn du mal Lust hast vorbeizuschauen.“
Maria von der Heide und Annie Landvogt wunderten sich ob der Abgeklärtheit der Geiseln, die zudem noch so kameradschaftlich miteinander umgingen, als käme man gerade vom Betriebsausflug, aber sie hatten ja noch keine Ahnung, daß das gar kein Banküberfall gewesen war.
„Was passiert jetzt eigentlich mit Ludger, äh, mit dem Bankräuber?“ fragte Oma Hofmann die Dame vom BKA.
„Das wird hauptsächlich von Ihren Aussagen morgen abhängen. Aber ein paar Jahre wegen Geiselnahme werden’s schon werden“, erklärte Frau Landvogt, die trotz der Müdigkeit blendend gelaunt war. Schließlich war das Unternehmen doch recht erfolgreich zu Ende gegangen. Kaum einen Toten, die Filialleiterin zwar nicht leicht, so doch auch nicht lebensgefährlich verletzt und das ganze Geld sichergestellt. Innenminister und Polizeipräsident hatten schon gratuliert.
Den Einkaufswagen hinter sich herziehend entfernte sich Oma Hofmann. Maria von der Heide und Herr Schweitzer hatten die Seiten getauscht. Im Laufe ihrer fast anderthalbjährigen Beziehung hatte es sich eingebürgert, daß er auf der linken, sie auf der rechten Seite ging. Doch aufgrund der im revolutionären Volksbefreiungskampf zugezogenen Schulterprellung seinerseits hatten sie ihre angestammten Positionen wechseln müssen. Es hatte auch ein wenig gedauert, bis sich die Finger ihrer rechten mit denen seiner linken Hand ineinandergewurschtelt hatten. Romantisch überquerten sie die Schweizer Straße, wo Ordnungskräfte dabei waren, die Absperrbänder zu entfernen.
Auch die Geschäfte rund um den Schweizer Platz öffneten wieder ihre Pforten. Vor der Buchhandlung wurde Herr Schweitzer vom stets strubbeligen Buchhändler-Jörg erstens gegrüßt und zweitens darüber informiert, daß das von ihm bestellte Werk Véronique Olmis da sei.
„Dann nehm ich’s doch gleich mit.“ Herr Schweitzer freute sich auf das Buch mit dem Titel Meeresrand, von dem es hieß, es sei
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