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Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)

Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)

Titel: Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
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Hungertoten täglich, ebenjener Krieg in einer wechselvollen Welt wie unserer allenfalls eine Randnotiz verdiente. Die Verkäuferin, die sie bediente, gab ihr recht, aber das hätte sie wahrscheinlich auch getan, wenn Muttchen einen gegenteiligen Standpunkt vertreten hätte. Verkaufen ist eben eine Dienstleistung.
    Die Reihe kam endlich an Simon Schweitzer, der wegen eines sich just in dem Augenblick bemerkbar machenden Heißhungers auf Knackwürste, Knackwürste bestellte. Ein Dutzend gleich. Und dann noch von der ambrosischen Hausmachersalami. Nachdem er für Freitag noch einen eingelegten Sauerbraten in Auftrag gegeben hatte, wünschte er allerseits einen schönen Tag noch und ging.
    Inzwischen goß es wie aus Kübeln und ein kräftiger Wind fegte durch die Gassen. Die blätterlosen Bäume ragten gespenstisch empor. Fast alle Autos hatten die Scheinwerfer eingeschaltet. Eine Frau kämpfte mit dem Plastikverdeck eines Kinderwagens, während sie gleichzeitig ihren abgehalfterten, kläffenden Dackel zu beruhigen versuchte.
    Die Teutonische Staatsbank hatte ihre Filiale direkt am Schweizer Platz, Ecke Oppenheimer Landstraße, dort wo früher eine Reinigung war. Plakate in den Schaufenstern warben mit niedrigen Zinsen, wie stets in solchen Zeiten, wenn die Wirtschaft ausgezählt am Boden lag.
    Herr Schweitzer ging direkt zum Automaten, um sich einen Kontoauszug drucken zu lassen. Während das Gerät vor sich hinratterte, brachte er seine vom Winde zersausten Haare in Ordnung.
    „Ach, schau mal einer an, der Schweitzer.“
    Der Angesprochene drehte sich um, um zu sehen, wer ihn denn da angesprochen hatte und erkannte Jonathan, den Fensterputzer. Das war nicht weiter schwer, denn dieser sah jahrein, jahraus gleich aus. Hose und Jacke aus schwarzem Cord, schwarzes Hemd, und aus den Taschen lugten diverse Fensterputzutensilien wie Fensterleder, Schwamm et cetera. Und der bei dieser Arbeit allgegenwärtige schwarze Plastikeimer fehlte ebensowenig.
    „Ja wie geht’s denn, mein Bester?“ gab sich Simon Schweitzer kordial, denn Jonathan, der Fensterputzer, erfreute sich in Sachsenhausen großer Beliebtheit. Der überwiegende Teil der mittelständischen Betriebe gehörte zu seinen Kunden, und außerdem war er ein sehr geselliger Zeitgenosse, der, so er nicht gerade Fenster putzte, dem ein oder anderen Glas Apfelwein nicht abgeneigt war. Oder Bier und Schnaps am Wasserhäuschen, das ging auch in Ordnung.
    „Kann nicht klagen. Den meisten Ladeninhabern geht’s zwar ziemlich mies, aber die Leute wissen ja, was sie an mir haben. Ich hab zwar auch Einbußen, aber so lang’s für’n täglichen Bedarf reicht ...“ Er ließ den Satz unvollendet und blinzelte statt dessen schelmisch.
    Daraufhin tauschte man noch Neuigkeiten aus respektive erkundigte sich nach solchen. Neues gab es allerdings wenig, doch auch dies zu eruieren brauchte seine Zeit. Der Stadtteil quälte sich mühsam durch den Winter, und gemeinsame Bekannte, die im Spätherbst noch dies oder jenes Gebrechen vorzuweisen gehabt hatten, waren bislang am Leben geblieben. Allerdings bemerkte Jonathan, daß die Oma Schroth vom Gemüse-Schroth dahingeschieden sei. Das zählte aber nicht, da sie dem Herrn Schweitzer nicht bekannt war. Trotzdem hätte er der toten Oma Schroth gerne etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen gehabt, aber so sehr er auch nachdachte, mehr als eine plattgefahrene Katze vor seiner Haustür hatte er nicht zu bieten.
    Als die Wasserlache unter seinem Regenschirm Spiegeleigröße erreicht hatte, verabschiedete er sich von Jonathan und stellte sich an eine der zwei langen Reihen der am Schalter wartenden Bankkunden. Der Personalabbau der letzten beiden Jahre hatte deutliche Spuren hinterlassen. Nicht nur, daß gerade mal zwei von ehedem vier Schaltern geöffnet waren, nein, auch die Ausbildung des Personals ließ mehr und mehr zu wünschen übrig und war oft genug eine Prüfung Gottes. Doch Hoffnung ist im grauesten Tag, sagte sich Herr Schweitzer in einem Anflug philosophischen Stoizismus’ und blieb geduldig stehen. Bei schönem Wetter wäre er später noch mal wiedergekommen.
    Fuck. Er nahm dies nicht persönlich, auch wenn Simon Schweitzer im Augenblick der einzige war, der dies lesen konnte. Fuck prangte in weißen Großbuchstaben auf der zerschlissenen, schwarzen Lederjacke der vor ihm stehenden Punkerin. Ihr Irokesenschnitt, im Jargon auch kurz Iro genannt, leuchtete in hippen Orange-Tönen, und die braunen Springerstiefel dürften das Frühjahr

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