Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
die im letzten Viertel des neunzehnten oder im ersten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts aktiv waren, hatten die besten Aussichten, Namensgeber zu werden. Danach wurde die medizinische Forschung mehr und mehr zur Teamarbeit und die Chancen auf individuelle Verewigung nahmen ab. Heutzutage werden noch immer Eponyme vergeben
- relativ häufig in der klinischen Genetik -, aber es zeichnet sich eine eindeutige Tendenz zu beschreibenden Bezeichnungen oder Abkürzungen ab, wie AIDS, ADHD oder ALS, die Amyothrophe Lateral-Sklerose, die einst die >Charcot-Krankheit< hieß.
Die meisten Eponyme auf whonamedit.com liefert Amerika (796), gefolgt von Deutschland (616), Frankreich (420), Großbritannien (324) und Österreich (150). Mit 44 Eponymen fallen die Niederlande gerade aus der Liste der Top Ten und müssen Schweden (47) und Dänemark (46) den Vortritt lassen. Von Land zu Land gibt es große Unterschiede im Alter der Eponyme. Fast die Hälfte der amerikanischen Namensgeber sind nach 1900 geboren, während von den 24 tschechischen kein Einziger im zwanzigsten Jahrhundert geboren wurde, worin sich die Tatsache widerspiegelt, dass die Blütezeit der medizinischen Forschung Tschechiens deutlich in der Vergangenheit liegt. Dass Österreich in der Liste so weit oben rangiert, ist ebenfalls vor allem die Folge einer beeindruckenden Vergangenheit: Weniger als neun Prozent der Namensgeber sind im zwanzigsten Jahrhundert geboren. Deutschland, Frankreich und England waren immer schon medizinische Großmächte und sind es geblieben; hier finden sich auch viele relativ junge Namensgeber.
Die 616 deutschen Eponyme umfassen fünf Jahrhunderte Medizingeschichte. Der älteste Namensgeber ist Johannes Winter von Andernach, dessen Name im sechzehnten Jahrhundert mit den >Knochen von Andernach< verbunden wurde, winzigen Knochen, die sich in den Schädelnähten befinden. Rund 500 der deutschen Namensgeber sind im neunzehnten Jahrhundert geboren. In ihren Namen spiegelt sich in erster Linie das Ansehen einer deutschen Medizinwissenschaft, die - in den Bereichen Psychiatrie und Neurologie - in Anatomie, Neuropathologie und mikroskopischer Forschung glänzte. Aber in zweiter Linie zeugen diese Namen auch von einer Epoche, in der es zur Konvention gehörte, die unterschiedlichsten Entdeckungen mit Eponymen zu würdigen. So hat z. B. buchstäblich jeder Arzt, der im Kapitel über die Alzheimer-Krankheit den Weg Alois Alzheimers kreuzt, auch selbst einen epo-nymischen Status: Franz Nissl wegen der >Nissl-Färbung<, Friedrich Heinrich Levy (später Lewy) wegen der >Lewy-bodies<, Hans Gerhard Creutzfeldt und Alfons Maria Jakob wegen der >Creutz-feldt-Jakob-Krankheit<, August Paul von Wassermann wegen des >Wassermann-Tests<, Carl Wernicke wegen der >Wernicke-Apha-sie< und so weiter.
Bis zum heutigen Tag bekannte deutsche Eponyme sind Krankheiten wie die von Basedow, Pfeiffer, Weil und Recklinghausen (auch als >Elephant Man’s Syndrom< bekannt). Richard Julius Petri lebt weiter in der >Petri-Schale<, auf der Bakterien gezüchtet werden. Unter den jüngeren Namensgebern sind relativ viele klinische Genetiker. Der jüngste deutsche Namensgeber, Thomas Rautenstrauch (* Zwickau, 1942), ist auf Kinderkrankheiten spezialisiert und teilt sich mit Hans-Rudolf Wiedemann den Namen eines Syndroms, das durch niedriges Geburtsgewicht, früh-altes Äußeres und geistigen Rückstand charakterisiert wird.
Die deutsche Liste zählt nur zehn weibliche Namensgeber, wobei die ursprünglich französische Neurologin Cecile Vogt, geborene Mugnier, schon mitgezählt wurde. Insgesamt sind auf www.whonamedit.com lediglich 110 Frauen zu finden. Es scheint fast eine Verschwörung von Faktoren: Als das Medizinstudium für Frauen zugänglich wurde und sie anfingen, ihren Beitrag zu liefern, war das große Namengeben schon vorbei.
Das Gros der medizinischen Eponyme ehrt vor allem die Priorität: den Entwerfer einer neuen Operationsmethode, den Erfinder eines Instruments, die erste Beschreibung eines Körperteils, den Entdecker einer Krankheit. Wird die Priorität bestritten, können erbitterte Konflikte auftreten, wobei schon bald Fragen zur Diskussion stehen, die interessanter sind als nur die Priorität. Was genau ist eine >Entdeckung Welche Faktoren bestimmen, was durch die wissenschaftliche Gemeinschaft als >Entdeckung< akzeptiert wird? Kann man jemanden einen >Entdecker< nennen, wenn er selbst nicht ganz verstanden hat, was er eigentlich entdeckt hat, wie es
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