Geliebter Lord
ist, wird sie in Inverness sicherlich schmerzlich vermisst. Du solltest sie unverzüglich dorthin zurückbringen.«
»Möchtest du nicht gesund werden?«
Hamish musste lachen. »Ich bin so gesund, wie ich werden kann.« Ohne zu blinzeln, hielt er dem prüfenden Blick seines Bruders stand. Er hob eine Hand, die andere, nutzlose, blieb an seiner Seite. »So sehe ich nun mal aus als Gesunder. Wenn sie meinen Körper in die ursprüngliche Form bringen könnte, würde ich es dankbar annehmen. Aber das kann sie nicht.«
»Vielleicht ja doch.«
»Es würde
Gottes
Geschick bedürfen, diese Narben zu beseitigen.«
»Sie werden mit der Zeit verblassen, Hamish.«
»Aber sie werden immer
da
sein. Bring die Frau nach Inverness zurück, Brendan.«
»Ich glaube nicht, dass Mary gehen will.«
»Dann musst du sie eben überzeugen.«
Als Hamish aus einer der offenen Schießscharten auf den Hof hinunterschaute, sah er einen Lastkarren, der von zwei weiteren Fremden entladen wurde – und Mary Gilly, die den Burghof überquerte. Wenn Brendan ihm schon unbedingt eine Heilerin hatte bringen wollen, dann hätte er wenigstens eine ältere aussuchen sollen, eine erfahrene, weise, der vielleicht ein paar Zähne fehlten. Oder einen Arzt, wenn keine alte, weise Frau verfügbar war.
Eine schöne Frau besaß an sich schon Macht. Heilte sie ihre männlichen Patienten
damit? Überredete
sie sie, gesund zu werden? Er war nicht immun gegen weibliche Schmeicheleien. Wie die Atavasi in Indien festgestellt hatten, war er nur zu menschlich.
Hatte sie Brendan verzaubert? Hatte er sie deshalb hergebracht?
Das Zwielicht verlieh ihrer Schönheit einen ganz besonderen Reiz, die Schatten hüllten sie ein wie eine zarte Decke. Es war, als gehörte sie hierher, als wäre sie ein Geist, der heimgekehrt war.
»Wer sind die beiden da?«
»Eine Köchin und ein Zimmermann.«
»Ich wollte nur ein paar Vorräte, Brendan. Ich brauche keine Köchin und keinen Zimmermann. Und vor allem keine Heilerin.«
»Ich habe nie einen Mann gesehen, der ihrer mehr bedurfte.«
Hamish warf ihm einen vernichtenden Blick zu, den Brendan nur mit einem Lächeln quittierte.
Hamish MacRae mochte krank sein, aber es war offensichtlich, dass sie nicht erwünscht war. Als Brendan seinem Bruder die Wendeltreppe hinauffolgte, blieb Mary zurück wie ein Paket, das Brendan vergessen hatte.
Das Erdgeschoss war spärlich möbliert. Neben einem Rundbogenkamin stand eine Wandbank aus Kiefernbrettern; zwei Stühle und ein Tisch auf der anderen Seite des Raums vervollständigten die Einrichtung.
Mary hörte die Männer miteinander sprechen. Obwohl sie nichts verstand, kam sie sich wie eine Lauscherin vor. Das bereitete ihr Unbehagen, und so verließ sie den Turm.
Auf dem Grasfleck in der Mitte des Burghofs blieb sie stehen. Der Wind presste ihr den Rock an die Beine und spielte mit ihrem Haar. Sie war in Inverness geboren und aufgewachsen, ein reines Stadtkind. Sicher, es gab dort viel Schönes zu sehen und Orte zu besuchen, die einem vor Staunen und reiner Freude den Atem stocken ließen, aber noch nie hatte etwas ihre Phantasie derart angeregt wie Castle Gloom in diesem Moment.
Wo waren die Soldaten, die einst bewaffnet auf diesen Mauern patrouillierten? Wo waren die Köchin und ihre Küchenhilfen und der Burgherr? Was war aus der Dame des Hauses geworden und den Kindern, die hier vielleicht das Licht der Welt erblickten? Sie waren einfach verschwunden, und Mary fragte sich, was wohl mit ihnen geschehen war.
Langsam drehte sie sich um. Das Castle wirkte aus der Nähe nicht annähernd so verloren und abweisend wie aus der Ferne. Zu ihrer Linken erstreckte sich, angelehnt an die Mauer, ein langes rechteckiges Gebäude, zu ihrer Rechten stand der in die Mauer eingefügte runde Turm, hinter ihr ein besserer Schuppen, offenkundig der einstige Stall, in dem sie und Brendan ihre Pferde untergestellt hatten.
Mary ging weiter zu dem Brunnen und holte mit dem Schöpfeimer Wasser herauf. Zu ihrer Freude war es kristallklar. Sie stellte den Schöpfer in den Holzeimer zurück und machte sich, einem Impuls folgend, auf den Weg zum Haupthaus.
Wenn sie ein paar Tage hierbliebe, müsste sie einen Platz für sich finden, eine kleine Ecke auf Castle Gloom, wo sie für sich wäre und ihre Arzneien aufstellen und Hamish behandeln könnte. Falls es Brendan gelänge, seinen Bruder zu überreden, sich von ihr behandeln zu lassen.
Einem starrsinnigen Mann konnte man nicht mit Worten
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