Geliebter Lord
Umständen hatte er Hemmungen, sich zu zeigen. Er war seit seiner Gefangennahme keiner Frau mehr nahe gekommen.
Zum ersten Mal wünschte er, er hätte, als er von Bord ging, daran gedacht, einen Spiegel mitzunehmen. Ein Blick hätte genügt, um den Grad ihres Abscheus einzuschätzen. Wie würde sie sich verhalten? Würde sie nach Luft schnappen? Schaudern? In Tränen ausbrechen?
Wie auch immer – es blieb ihm nichts anderes übrig, als die beiden einzulassen. Er bückte sich unter dem Türsturz hindurch und stieg die Wendeltreppe hinunter. Unten angekommen, entfernte er den Riegel, öffnete die Tür und trat vorsichtshalber ein paar Schritte zurück – in den Schutz des Schattens.
Brendan kam als Erster herein. Er sah sich um, ging auf die Treppe zu, entdeckte Hamish und bedachte ihn mit einem wütenden Blick.
»Du hast dir lange Zeit gelassen, Bruder«, sagte Hamish.
»Und du bestrafst mich dafür, indem du versuchst, mich umzubringen? Warum zum Teufel hast du auf uns geschossen?« Brendans volltönende Stimme hallte von den Wänden wider.
»Das habe ich ja gar nicht getan«, erwiderte Hamish, der die Frau hinter seinem Bruder eintreten sah, steif. »Ich habe mich lediglich amüsiert. Wenn ich gewusst hätte, dass jemand da war, hätte ich woandershin gezielt.«
»Wo hast du die Kanone überhaupt her? Ich hätte gedacht, an diesem gottverlassenen Ort wären nur Spinnen und Fledermäuse zu finden.«
Davon hatte es reichlich gegeben, aber Hamish fühlte sich aus irgendeinem Grund verpflichtet, nichts auf seine Zuflucht kommen zu lassen, und so sagte er nur: »Sie ist die Hinterlassenschaft eines ehemaligen Besitzers, der offenbar den Wunsch hatte, das Castle zu verteidigen.«
»Seltsam. Wer sollte dieses Gemäuer denn angreifen?«
Brendan trat beiseite und gestattete Hamish einen ungehinderten Blick auf die Frau in Rot.
Ihre Augen waren braun, an sich nichts Spektakuläres, aber sie hatten etwas Geheimnisvolles.
»Wer seid Ihr?«, fragte er schärfer als beabsichtigt.
Brendan warf ihm einen tadelnden Blick zu.
»Engel – dieser ungehobelte Mensch ist mein Bruder. Hamish – gestatte mir, dir Mrs. Mary Gilly vorzustellen, eine Heilerin von beachtlichem Ruf.«
Hamish sagte sich, dass er wütend war, weil Brendan seine Kompetenzen überschritten hatte, und nicht, weil sein Bruder beschützend die Hand auf die Schulter der Frau legte – und auch nicht, weil sie ihn dafür mit einem gewinnenden Lächeln belohnte.
»Eine Heilerin? Ich hatte dich nur gebeten, mir die gewünschten Vorräte zu bringen«, sagte er unfreundlich.
Sie trat ein paar Schritte auf ihn zu, und er wich noch weiter zurück, wünschte, er könnte sie mit einem Lidschlag vertreiben oder einer befehlenden Geste zur Tür. Stattdessen hob er abwehrend die Hand.
»Ich bedaure, dass Ihr Euch der Strapaze dieser Reise umsonst ausgesetzt habt.« Ein vernünftiger Satz und bemerkenswert zivilisierter Ton. Angesichts der Tatsache, dass er seit drei Wochen mit keinem Menschen gesprochen hatte, war seine Stimme erstaunlich klar.
Ohne ein weiteres Wort machte Hamish auf dem Absatz kehrt und ließ seine beiden Besucher stehen.
Kapitel 2
B rendan betrat Hamishs Zimmer, ohne anzuklopfen, aber Hamish hatte es auch nicht erwartet. Brendan konnte ungemein charmant sein, wenn er wollte, aber das war jetzt nicht der Fall.
Er blieb auf der Schwelle stehen und sagte nach einem Blick auf die Kanone: »Wenn du das Ding da entferntest, hättest du bedeutend mehr Platz hier.«
»Das schon, aber dann könnte ich mir nicht mehr die Zeit damit vertreiben, Fichten die Spitzen wegzuschießen.«
»Damit beschäftigst du dich?« Brendan runzelte die Stirn. »Was für eine Verschwendung deiner Talente.«
»Wer ist die Frau?«, wechselte Hamish das Thema.
»Ich sagte es bereits – eine Heilerin von beachtlichem Ruf. Aus Inverness.«
»Warum nennst du sie Engel?«
»Sie hat einem kleinen Jungen das Leben gerettet. Zumindest ist das die Geschichte, die Iseabal mir erzählte. Sie hat von Marys Können durch den Ehemann erfahren, einen Goldschmied, der einige Dinge für Gilmuir angefertigt hatte.«
»Sie ist verheiratet?«
»Verwitwet.«
»Und du hast sie auf Iseabals Empfehlung hin aus Inverness mitgebracht, ja?«
»Kannst du dir eine bessere vorstellen?«
Wenn er ehrlich war, konnte er das nicht. Hamish hegte größte Bewunderung für seine Schwägerin. Das Problem war, dass er keine Heilerin in seinem Haus haben wollte.
»Wenn Mrs. Gilly so gut
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