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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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langsame Bewegung mit der Hand zu machen und sich zu überzeugen, daß sie da sei wie ein schlafendes Kind in ihrer eisigen Starre. Alles versank in nichts; die Nacht selbst war versunken; er war nirgends mehr, außerhalb des Raumes, außerhalb der Zeit. Etwas pochte neben seinem Haupte; es waren Schläge, die immer stärker, immer näher klangen; doch in seiner unermeßlichen Ermattung war er anfänglich zu träge, um zu antworten; und jetzt wußte er gar nichts mehr; er träumte bloß, daß sie vor ihm her gehe, und daß er das leise Klappern ihrer Holzschuhe höre. Zwei Tage vergingen so; sie hatte sich nicht mehr bewegt; er berührte sie mit seiner mechanischen Bewegung, beruhigt, weil sie sich so still verhielt.
    Jetzt fühlte Etienne eine Erschütterung. Er hörte ein Gemurmel von Stimmen; Felsen stürzten nieder und rollten bis zu seinen Füßen. Als er eine Lampe erblickte, begann er zu weinen. Seine blinzelnden Augen folgten dem Lichtschein; er ward nicht müde, ihn zu sehen, entzückt von diesem roten Punkte, der kaum die Finsternis durchdrang. Doch schon trugen ihn Kameraden davon, und er ließ es geschehen, daß sie ihm zwischen den zusammengepreßten Zähnen einige Löffel Fleischbrühe einflößten. Erst in der Galerie Réquillart erkannte er einen von ihnen, den Ingenieur Negrel, der vor ihm stand. Diese beiden Männer, die einander verachteten, der meuterische Arbeiter und der zweifelsüchtige Vorgesetzte: sie sanken einander laut schluchzend in die Arme, in der mächtigen Erschütterung alles Menschlichen, das sich in ihnen barg. Es war eine unendliche Traurigkeit, das Elend ganzer Geschlechter, das Übermaß des Jammers, in den das Leben versinken kann.
    Als man die tote Katharina hinaufgeschafft hatte, sank die Maheu, mit lautem Wehgeschrei an der Leiche ihrer Tochter nieder, und ein Schrei folgte dem andern, lange, unaufhörlich. Mehrere Leichen waren zutage gefördert und auf der Erde niedergelegt worden: Chaval, den man von einem Einsturze erschlagen glaubte, einen Schlepperjungen und zwei Häuer, gleichfalls erschlagen, mit leerem Schädel und aufgedunsenem Bauche. Mehrere Weiber in der Menge verloren den Verstand, rissen sich die Kleider vom Leibe und zerfleischten sich das Gesicht. Nachdem man ihn an das Lampenlicht gewöhnt und ein wenig mit Nahrung gestärkt hatte, erschien Etienne endlich, bis auf die Knochen abgemagert, die Haare gebleicht. Alle traten zitternd beiseite, als dieser Greis vorüberkam. Auch die Maheu unterbrach sich in ihrem Jammergeschrei, um ihn blöde, mit stieren Augen anzuschauen.
     

Sechstes Kapitel
    Es war vier Uhr morgens; die Kühle der Aprilnacht milderte sich bei dem Herannahen des Tages. Die Sterne flimmerten am klaren Himmel, während eine helle Morgenröte den östlichen Horizont purpurn färbte. Ein Frösteln durchzog die schlafende schwarze Landschaft; es war jenes unbestimmte, verschwommene Geräusch, das dem Erwachen vorausgeht.
    Etienne folgte, wacker ausschreitend, der nach Vandame führenden Straße. Er hatte sechs Wochen im Krankenhause zu Montsou zugebracht. Obgleich noch gelb und sehr mager, hatte er sich, doch stark genug gefühlt aufzubrechen, und er brach auf. Die Gesellschaft, die noch immer für Ihre Gruben zitterte und nach und nach gewisse Leute entließ, hatte ihn verständigt, daß sie ihn nicht länger in ihren Diensten behalten könne. Sie bot ihm übrigens eine Unterstützung von hundert Franken an mit dem väterlichen Rate, die Grubenarbeit aufzugeben, weil sie künftig für ihn zu schwer sei. Doch er hatte die hundert Franken zurückgewiesen. Pluchart rief ihn nach Paris in einem Briefe, dem auch das nötige Reisegeld beigelegt war. Er sah endlich seinen alten Traum sich verwirklichen. Am vorhergegangenen Tage hatte er das Spital verlassen und bei der »Gemütlichkeit«, in der Schenke der Witwe Désir übernachtet. Er war früh aufgestanden; er hatte nur noch einen Wunsch: seinen Kameraden Lebewohl zu sagen, ehe er in Marchiennes den Acht-Uhr-Zug bestieg.
    Auf der Straße, über welche die Morgenröte ihre Helle ausbreitete, war Etienne einen Augenblick stehen geblieben. Es tat so wohl, die frische Luft des Frühjahrs einzuatmen. Ein herrlicher Morgen kündigte sich an, es ward allmählich heller, und mit der Sonne stieg auch das Leben der Erde empor. Er nahm seinen Weg wieder auf, schlug mit seinem Stabe fest auf den Boden und schaute nach der Ferne, wo die Ebene allmählich aus den nächtlichen Dünsten zum Vorschein kam. Er hatte

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