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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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sein Programm zu erweitern; die bürgerliche Verfeinerung, die ihn über seine Klasse erhoben hatte, jagte ihn in einen noch größeren Haß gegen das Spießbürgertum. Er fühlte das Bedürfnis, die Arbeiter, deren Elendgeruch er jetzt nicht mehr vertragen konnte, auf eine Ruhmeshöhe zu stellen, sie als die einzig Großen, als die einzig Fehlerlosen zu zeigen, als den einzigen Adel und die einzige Kraft, in der die Menschheit sich verjüngen konnte. Schon sah er sich auf der Rednertribüne, mit dem Volke triumphierend, wenn das Volk ihn nicht verschlang.
    Der Sang einer Lerche in großer Höhe ließ ihn emporblicken. Kleine rote Wölkchen, die letzten Dünste der Nacht, zerflossen in dem durchsichtigen Blau; und es tauchten die Gestalten der Suwarin und Rasseneur undeutlich vor ihm auf. Wenn jeder die Macht an sich zog, mußte alles mißlingen. Selbst die berühmte Internationale, welche die Welt hätte erneuern müssen, ging kläglich unter, nachdem ihre furchtbare Armee in inneren Kämpfen sich zersplittert hatte. Sollte Darwin recht haben, daß die Welt nichts sei als ein Kampf, in dem die Starken die Schwachen verschlingen, -- nur um der Schönheit und Fortpflanzung der Gattung willen? Diese Frage verwirrte ihn, obgleich er als ein mit seinem Wissen zufriedener Mann darüber hinwegging. Ein Gedanke verscheuchte alle seine Zweifel und entzückte ihn: der Gedanke, das erstemal, wenn er reden werde, seine ehemalige Erklärung der Theorie wiederaufzunehmen. Wenn eine Klasse aufgezehrt werden mußte, werde sicherlich das lebenskräftige, noch junge Volk das von den Genüssen erschöpfte Bürgertum aufzehren. Neues Blut werde die neue Gesellschaft durchströmen. In dieser Erwartung einer Überflutung der Welt durch Barbaren, welche die alten, hinfälligen Nationen neu schaffen sollten, tauchte sein unerschütterlicher Glaube an eine nahe, an die wahre Revolution wieder auf, an die Revolution der Arbeiter, deren Brand die Neige des Jahrhunderts in den Purpur der Sonne tauchen werde, die er blutrot am Himmel heraufziehen, sah.
    Träumerisch ging er weiter, mit seinem Stock auf die Kiesel des Weges schlagend; als er die Blicke umherschweifen ließ, erkannte er die verschiedenen Teile der Gegend. Bei der »Ochsengabel« erinnerte er sich, daß er da den Befehl über die Scharen übernommen an jenem Tage, als die Gruben verwüstet wurden. Heute begann wieder die tierische, tödliche, schlecht bezahlte Arbeit. Ihm war, als höre er unter der Erde in einer Tiefe von siebenhundert Metern dumpfe, regelmäßige, fortdauernde Schläge: es waren die Kameraden, die er vorhin hatte anfahren sehen, die schwarzen Kameraden, die in ihrer stummen Wut auf die Kohle losschlugen. Ohne Zweifel waren sie besiegt; sie hatten Geld und Tote auf der Wahlstatt gelassen; aber Paris wird die im Voreux gefallenen Schüsse nicht vergessen; durch diese unheilbare Wunde wird auch das Blut des Kaiserreiches entströmen. Wenn die Industriekrise zu Ende geht und Fabriken, eine nach der ändern, wieder eröffnet werden, wird nichtsdestoweniger der Krieg erklärt und künftig kein Friede möglich sein. Die Bergleute kannten ihre Zahl, hatten ihre Kraft erprobt, hatten mit ihrem Schrei nach Gerechtigkeit alle Arbeiter von ganz Frankreich aufgerüttelt. Ihre Niederlage beruhigte denn auch niemanden. In ihrem Siege von dem dumpfen Unbehagen erfaßt, das der Streik zurückgelassen, schauten die Bürger von Montsou hinter sich, ob nicht dennoch inmitten dieser tiefen Stille das Ende unvermeidlich gekommen sei. Sie begriffen, daß die Revolution sich unaufhörlich erneuern werde, vielleicht morgen schon; mit dem allgemeinen Streik, mit dem Zusammenhalt aller Arbeiter, die mit Hilfskassen ausgerüstet monatelang Widerstand leisten würden. Wieder einmal war der zerfallenden Gesellschaft ein Stoß versetzt; sie hatte unter ihren Tritten das Krachen gehört; sie fühlte, daß neue und immer neue Stöße kommen würden, bis der alte, erschütterte Bau zusammenstürzen und verschlungen werde wie der Voreuxschacht, der in dem Abgrunde versunken war.
    Etienne wandte sich links und schlug den Weg nach Joiselle ein. Er erinnerte sich; er hatte daselbst die Scharen verhindert, sich auf Gaston-Marie zu stürzen. In der Ferne sah er im hellen Sonnenlichte die Schachttürme mehrerer Gruben, den von Mirou rechts, den der Magdalenengrube und Crèvecoeur nahe beieinander. Überall summte und brummte die Arbeit; die Schläge der Spitzhacken, die er unter der Erde zu hören

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