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Gesammelte Werke

Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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überschreitet, als ob sie ganz dastünde? Für mich hat so eine Rechnung etwas Schwindliges; als ob es ein Stück des Weges weiß Gott wohin ginge. Das eigentlich Unheimliche ist mir aber die Kraft, die in solch einer Rechnung steckt und einen so festhält, daß man doch wieder richtig landet.»
    Beineberg grinste: «Du sprichst ja beinahe schon so wie unser Pfaffe: ‹... Du siehst einen Apfel, – das sind die Lichtschwingungen und das Auge und so weiter, – und du streckst die Hand aus, um ihn zu stehlen, – das sind die Muskeln und die Nerven, die diese in Bewegung setzen. – Aber zwischen den beiden liegt etwas und bringt eins aus dem andern hervor, – und das ist die unsterbliche Seele, die dabei gesündigt hat ...; ja – ja, – keine eurer Handlungen ist erklärlich ohne die Seele, die auf euch spielt wie auf den Tasten eines Klaviers ...›;» Und er ahmte den Stimmfall nach, mit dem der Katechet dieses alte Gleichnis vorzubringen pflegte. – «Übrigens interessiert mich diese ganze Geschichte wenig.»
    «Ich dachte, gerade dich müßte sie interessieren. Ich wenigstens mußte gleich an dich denken, weil das – wenn es wirklich so unerklärlich ist – doch fast eine Bestätigung für deinen Glauben wäre.»
    «Warum sollte es nicht unerklärlich sein? Ich halte es für ganz wohl möglich, daß hier die Erfinder der Mathematik über ihre eigenen Füße gestolpert sind. Denn warum sollte das, was jenseits unseres Verstandes liegt, sich nicht einen solchen Spaß mit eben diesem Verstande erlaubt haben? Aber ich gib mich damit nicht ab, denn diese Dinge führen doch zu nichts.»
    Noch am selben Tage hatte Törleß den Lehrer der Mathematik gebeten, ihn besuchen zu dürfen, um sich über einige Stellen des letzten Vortrages Aufklärung zu holen.
    Den nächsten Tag, während der Mittagspause, stieg er nun die Treppe zu der kleinen Professorswohnung hinan.
    Er hatte jetzt einen ganz neuen Respekt vor der Mathematik, da sie ihm nun einmal aus einer toten Lernaufgabe unversehens etwas sehr Lebendiges geworden zu sein schien. Und von diesem Respekte aus empfand er eine Art Neid gegen den Professor, dem alle diese Beziehungen vertraut sein mußten und der ihre Kenntnis stets bei sich trug wie den Schlüssel eines versperrten Gartens. Überdies wurde Törleß aber auch von einer, allerdings ein wenig zaghaften, Neugierde angetrieben. Er war noch nie in dem Zimmer eines erwachsenen jungen Mannes gewesen, und es kitzelte ihn zu erfahren, wie denn das Leben eines solchen anderen, wissenden und doch ruhigen Menschen aussehe, wenigstens so weit man aus den äußeren, umgebenden Dingen darauf schließen kann.
    Er war sonst seinen Lehrern gegenüber scheu und zurückhaltend und glaubte, daß er sich deswegen nicht ihrer besonderen Zuneigung erfreue. Seine Bitte erschien ihm daher, während er jetzt erregt vor der Türe innehielt, als ein Wagnis, bei dem es sich weniger darum handelte, eine Aufklärung zu erhalten, – denn ganz im stillen zweifelte er schon jetzt daran, – als daß er einen Blick – gewissermaßen hinter den Professor und in dessen tägliches Konkubinat mit der Mathematik hinein – tun könne.
    Man führte ihn in das Arbeitszimmer. Es war ein länglicher einfenstriger Raum; ein mit Tintenflecken übertropfter Schreibtisch stand in der Nähe des Fensters und an der Wand ein Sofa, das mit einem gerippten, grünen, kratzigen Stoffe überzogen war und Quasten hatte. Oberhalb dieses Sofas hingen eine ausgeblichene Studentenmütze und eine Anzahl brauner, nachgedunkelter Photographien in Visiteformat aus der Universitätszeit. Auf dem ovalen Tische mit den X-Füßen, deren graziös sein sollende Schnörkel wie eine mißglückte Artigkeit wirkten, lag eine Pfeife und blättriger, großgeschnittener Tabak. Das ganze Zimmer hatte davon einen Geruch nach billigem Knaster.
    Kaum hatte Törleß diese Eindrücke in sich aufgenommen und ein gewisses Mißbehagen in sich konstatiert, wie bei der Berührung mit etwas Unappetitlichem, als sein Lehrer eintrat.
    Er war ein junger Mann von höchstens dreißig Jahren; blond, nervös und ein ganz tüchtiger Mathematiker, welcher der Akademie schon einige wichtige Abhandlungen eingereicht hatte.
    Er setzte sich sofort an seinen Schreibtisch, kramte ein wenig in den umherliegenden Papieren (Törleß kam es später vor, daß er sich geradenwegs dorthin gerettet hatte), putzte seinen Klemmer mit dem Taschentuche, schlug ein Bein über das andere und sah Törleß erwartend

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