Rasieren mit Stil und ohne Stiel
... wogegen aber wol nicht zu leugnen sein möchte, daß folglich die Sitte des Bartscherens als eine mitwirkende Ursache der gegenwärtigen Verweichlichung des Männergeschlechts angesehen werden könne. (Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände, 1833)
Ein Aficionado ist ein Genießer. Viele genießen Zigarren, Wein oder Whiskey – und manch einer ist ein Rasur-Aficionado. Und glaube mir, lieber Leser, nach spätestens hundert Seiten bist du es auch.
Denn die Rasur muss keine lästige Pflicht sein, sondern sie ist eine durchaus genussvolle Handlung, die dem Weintrinken oder Zigarrerauchen in nichts nachzustehen braucht. Wer das erkannt hat, gewinnt jeden Morgen eine Viertelstunde, wo Andere fünf Minuten zu verlieren glauben. Es ist ein Fehler zu denken, Rasieren sei eine Pflicht, denn in Wahrheit rasiert man sich für sich selbst. Wer das Format besitzt, die eigene Rasur zu genießen, gewinnt eine Menge Spaß im Leben und eine Extraportion Gelassenheit für den Rest des Tages.
Scharfe Schneiden, feine Haarspitzen und holzige Düfte sind Erfahrungen, die man sich nicht entgehen lassen sollte; allerdings sind sie nur dem Kenner zugänglich. Es mag bei einer alltäglichen Handlung wie der Rasur zwar seltsam klingen, aber in der Hand des Könners wird eine Rasierklinge zum künstlerischen Werkzeug, das einem Kalligraphie-Pinsel in nichts nachsteht. Wer beim Rasieren von Logik auf Genuss und Feinsinn umschaltet, bereichert sein Leben ganz ungemein. Davon handelt dieses Buch. Es handelt davon, wie man zu einem Stück individueller Kultur und Freiheit mitten im Alltag findet.
Aber der Weg zum Rasur-Aficionado ist steiniger als er zunächst scheint. Denn das Wissen über die klassische Rasur ist in den letzten Jahrzehnten fast in Vergessenheit geraten, weil die meisten Väter ihr Wissen schon vor einer Generation nicht mehr weitergegeben haben und die Produkte des Massenmarktes allzu oft mit kurzfristigen Versprechen in den Vordergrund getreten sind. Woher kann man das Wissen über die Kunst der Rasur also noch bekommen?
Auf der Suche nach Informationen für dieses Buch fiel mir auf, dass die beste Quelle für Rasurfragen ältere Herren sind, denen man einfach nur zuzuhören braucht. Dort findet man auch das, was Männersachen ausmacht: eine Menge Glaubenssätze und Denkschulen. Da es eine gute Praxis ist, grundsätzlich nichts zu glauben, was man nicht selbst nachgeprüft hat, begann ich mit Feuchtemessungen an Dachshaar-Pinseln, testete mit der Hilfe freundlicher Apotheker alte Hausmittel, bastelte Rasierklingenprüfstände, bis endlich einer funktionierte, schmolz heimlich Seifen im Mikrowellenherd, während meine Frau unterwegs war (die Spuren haben mich allerdings verraten) und entwickelte einen Einpersonen-Klingenblindtest, um die Wirkung eines Magnetfeldes auf Rasierklingen herauszufinden. Ich bekam Hilfe von netten Ingenieuren und strengen Professoren, trieb mich in Bibliotheken herum und las Bücher, deren Seiten durch ihr Alter schon fleckig geworden waren, und verglich es mit dem, was man im Internet findet, wo sich langsam eine Gemeinde der Genießer findet, die die alten Techniken und Mittel wiederentdecken und weiterentwickeln.
Unter anderem lehre ich "wissenschaftliches Arbeiten", und vergab in meinen Seminaren einige der Fragen, auf die ich zuvor Antworten gesucht hatte, als Themen für wissenschaftliche Projektarbeiten – schließlich kann auch dort ein wenig Spaß nicht schaden. Auf diese Weise entstanden 18 Arbeiten, die sich mit Spezialproblemen rund um die Rasur beschäftigen. Im Laufe des Buches werde ich die interessantesten Ergebnisse einflechten.
So hörte ich zu, rasierte, las, testete und ließ testen. Irgendwann fiel mir auf, dass andere begannen, mir zuzuhören. Falls auch du Lust hast mir zuzuhören, dann lass uns bei untergehender Sonne zusammen auf die Terrasse setzen, eine lange Zigarre anzünden und uns ein wenig über das Tao des Rasierens austauschen. [1]
Damit dieser Austausch nicht ganz so einseitig ist, kannst du mir gern unter
[email protected] schreiben, und ich bringe dann die wichtigsten Hinweise auf der Internetseite www.maennersache-rasieren.de .
Nur, falls es irgendwen interessiert: Alle in diesem Buch vorgestellten Produkte und Verfahren habe ich am Selbstversuch ausprobiert. Ich wurde von keinem Unternehmen gesponsert und habe auch keinerlei