Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy
die man als Annäherungsversuch an einen der Gebieter auslegen konnte, selbstredend ganz unvorstellbar war, daß dies jedoch den Dienern gegenüber nicht galt. Die Diener erteilten niemals einen Befehl, wenn auch die Höflichkeit ihrer Aufforderungen ebenso unerbittlich war wie ein Befehl. Sie hatten offenbar Anweisung, Verstöße gegen die Hausregel auf der Stelle zu bestrafen, wenn sie die einzigen Zeugen waren. So erlebte O dreimal, einmal auf dem Korridor, der in den roten Flügel führte und zweimal im Refektorium, wohin man sie soeben geführt hatte, wie Mädchen, die beim Sprechen ertappt worden waren, zu Boden geworfen und gepeitscht wurden. Man konnte also auch, ungeachtet dessen, was ihr am ersten Abend gesagt worden war, am hellen Tage ausgepeitscht werden; was in Gegenwart der Diener geschah, fiel nicht unter dieses Gesetz und konnte nach Gutdünken geahndet werden. Das Tageslicht verlieh ihren Kostümen etwas Ausgefallenes und Drohendes. Einige trugen schwarze Strümpfe und statt der roten Jacke und des weißen Jabots ein weiches Hemd aus roter Seide, das am Hals gerafft war, mit weiten Ärmeln, die am Handgelenk eng anlagen. Am Mittag des achten Tages hatte einer dieser Diener, schon mit der Peitsche in der Hand, das Mädchen auf dem Hocker neben O aufgerufen, eine üppige, blonde Magdalena mit einem Busen wie Milch und Rosen, die ihr zugelächelt und ein paar Worte so hastig zugeflüstert hatte, daß O sie nicht verstand. Noch eh der Diener sie berührt hatte, lag sie zu seinen Füßen, ihre schneeweißen Hände streichelten unter der schwarzen Seide das noch ruhende Geschlecht, sie legte es frei und führte es an ihren geöffneten Mund. Sie wurde dieses Mal nicht gepeitscht. Und da dieser Diener damals als einziger im Speisesaal die Aufsicht führte, und die Augen schloß, während er sich die Buße gefallen ließ, tuschelten die übrigen Mädchen. Man konnte also die Diener bestechen. Aber wozu? Wenn es eine Vorschrift gab, der O sich nicht mit Leichtigkeit beugen konnte, der sie sich niemals völlig beugte, so war es die Vorschrift, daß sie den Männern nicht ins Gesicht schauen dürfe - und da diese Vorschrift auch den Dienern gegenüber galt, fühlte O sich ständig in Gefahr, so sehr verzehrte sie die Neugier auf Gesichter. Tatsächlich wurde sie von dem einen oder anderen gepeitscht, allerdings nicht jedesmal, wenn man sie ertappte (denn die Diener nahmen es mit den Regeln nicht so genau, sie legten wohl großen Wert auf die Faszination, die sie ausübten und wollten sich nicht durch zu unnachsichtige und zu grausame Strenge um die Blicke bringen, die von ihren Augen und ihrem Mund abglitten, um sich wieder auf ihr Geschlecht zu heften, auf die Peitsche, ihre Hände, um das Spiel von neuem zu beginnen), sondern zweifellos nur dann, wenn sie Lust hatten, O zu demütigen. So grausam sie in solchem Fall auch behandelt wurde, sie hatte nie den Mut oder die Feigheit besessen, sich ihnen zu Füßen zu werfen, sie fügte sich ihnen, aber sie flehte sie niemals an. Was das Gebot des Schweigens betraf, so fiel es ihr so leicht, es einzuhalten - nicht nur ihrem Geliebten gegenüber - daß sie es nicht ein einzigesmal übertrat, nur durch Zeichen antwortete, wenn ein anderes Mädchen einen unbewachten Augenblick nutzte, um sie anzusprechen. Das geschah meist während der Mahlzeiten, die in dem Saal stattfanden, in den man sie soeben geführt hatte. Die Wände waren schwarz, die Fliesen ebenfalls, der lange Tisch aus dickem, schwarzem Glas, und jedes Mädchen hatte als Sitzgelegenheit einen runden, mit schwarzem Leder bezogenen Hocker. Wenn man sich darauf niederließ, mußte man die Röcke heben und als ihre Schenkel das glatte, kalte Leder berührten, wurde O an den Sitz des Autos erinnert, auf den sie sich so hatte setzen müssen, nachdem ihr Geliebter ihr befohlen hatte, Strümpfe und Slip auszuziehen. Und umgekehrt wurde sie später jedesmal, wenn sie - gekleidet wie alle Welt, aber mit nackten Lenden unter ihrem unauffälligen Schneiderkostüm oder ihrem gewöhnlichen Kleid - Rock und Unterkleid hob, um sich neben ihrem Geliebten oder einem anderen Mann auf den blanken Autositz oder auf die Bank eines Cafes zu setzen, an das Schloß erinnert, an ihre nackten Brüste, die das seidene Mieder zur Schau stellte, an die Hände und Lippen, denen alles erlaubt war, und an das schreckliche Schweigen. Dennoch war nichts ihr eine so große Hilfe gewesen, wie dieses Schweigen, höchstens noch die Ketten. Die
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