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Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy

Titel: Geschichte der O und Rückkehr nach Roissy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Réage
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von Roissy durch ihren Geliebten prostituiert zu werden, allein zu seiner Lust, diese Mädchen waren für die Mädchen, die in Roissy selbst innerhalb der Gittertüren prostituiert wurden, für Geld und zu Nutz und Frommen und zum Vergnügen der Klubmitglieder statt eines einzigen Mannes, der sie liebte - für diese Mädchen waren jene in den roten Zimmern ein Gegenstand der Neugier und nicht enden wollender Mutmaßungen. Würden sie nach Roissy zurückkehren? Würden sie, wenn sie zurückkehrten, in der großen Klausur eingeschlossen oder, und sei es auch nur für einige Tage, vom Schweigegebot entbunden und in die Gemeinschaft aufgenommen werden? Einmal war es vorgekommen, daß ein Mädchen von ihrem Geliebten sechs Monate in der Klausur gelassen, dann mitgenommen und niemals wieder zurückgebracht worden war. O fand aber Jeanne wieder, die ein Jahr in der Gemeinschaft geblieben, dann fortgegangen und später wiedergekommen war, Jeanne, die René vor ihren Augen liebkost hatte und die O so voller Bewunderung und Neid betrachtet hatte. Geschlagen und angekettet wie die anderen, waren die Mädchen der Gemeinschaft dennoch frei. Nicht insofern frei, als sie nicht geschlagen würden, wenn sie da waren, aber insofern, als es ihnen freistand, wegzugehen, wenn sie wollten. Jene, die am seltensten weggingen, wurden am grausamsten behandelt. Noelle blieb zwei Monate, war drei Monate fort und kam wieder, als sie kein Geld mehr hatte. Aber Yvonne und Julienne, die wie O jeden Tag gepeitscht wurden und zwar, wie Noelle es vorausgesagt hatte, oft mehrmals an einem Tage, Yvonne, Julienne und O waren ebenso freiwillige Gefangene wie die Mädchen in der großen Klausur.
Nachdem sechs Wochen vergangen waren, während derer sie trotz der tagtäglichen Enttäuschung nicht aufgehört hatte zu hoffen, daß Sir Stephen kommen werde, merkte O, daß, wenn die Zahl der Mitglieder, die mehrere Tage hintereinander nach Roissy kamen oder hier blieben, nicht klein war, etwas Entsprechendes bei den Kunden vorging. Infolgedessen bürgerten sich Vorlieben oder Gewohnheiten ein (wie sie sich auch bei den Dienern einbürgerten, so daß es häufig dasselbe Mädchen war, das derselbe Diener im Refektorium nahm: O etwa: sie mußte sich rittlings auf Jose setzen, der sie mit den Händen an der Taille und den Lenden hielt, und sie ähnelte, da sie sich kaum zurücklehnte, der ohnmächtigen Frau der hinduistischen Statuetten, die der Gott Siva nahm), und O bemerkte, daß Carl häufig wiederkam: nicht so sehr deswegen fiel es ihr auf, weil er manchmal vier Tage hintereinander kam und sie immer für den Abend und gegen neun Uhr anforderte, sondern deswegen, weil sie jedesmal versuchte, ihn dazu zu bringen, von Sir Stephen zu sprechen. Er war selten dazu bereit und erzählte immer eher das, was er, Carl, zu Sir Stephen (in bezug auf O) gesagt hatte, als was Sir Stephen geantwortet hatte. Nicht ein einziges Mal ließ er Geld für O da. Nicht, daß ihm etwa der Brauch unbekannt war. Eines Abends hatte er zusammen mit O noch ein Mädchen hinaufkommen lassen, das zufällig Jeanne war. Er schickte sie sehr rasch wieder weg und behielt O, aber er schickte sie mit einer Handvoll Geldscheine weg. Für O nichts. Auch verstand sie nicht, was an einem Oktoberabend geschah, als er, statt, wie es seine Gewohnheit war, wegzugehen, ihr sagte, sie solle sich wieder anziehen, wartete, bis sie fertig war, und ihr ein langes Etui aus blauem Leder überreichte. O öffnete es: es enthielt einen Ring, ein Halsband und zwei Armreifen aus Diamanten. »Du wirst sie an Stelle derjenigen tragen, die du jetzt hast«, sagte er, »wenn ich dich mitnehme.« - »Mich mitnehmen?« fragte O. »Wohin? Sie können mich doch gar nicht mitnehmen.« - »Zuerst werde ich dich nach Afrika mitnehmen«, sagte er, »und dann nach Amerika.« - »Aber das können Sie doch nicht«, wiederholte O. Carl machte eine Handbewegung, als wolle er sie zum Schweigen bringen: »Ich werde mich mit Sir Stephen einigen und dich mitnehmen.« - »Aber ich will nicht«, rief O, plötzlich von Panik ergriffen, »ich will nicht, ich will nicht.« - »Doch, du wirst wollen«, sagte Carl. Und O dachte: »Ich werde weglaufen, ach nein, er nicht, ich werde weglaufen.« Das Etui lag offen auf dem verwühlten Bett, die Schmuckstücke, die O nicht tragen konnte, schimmerten zwischen den unordentlichen Laken, ein Vermögen. »Ich werde mit den Diamanten weglaufen«, sagte sich O und lächelte ihm zu.
Er kam nicht wieder. Zehn

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