Geschichte des Gens
paaren, aber da in der ersten Generation (Fi) nur Fliegen mit roten Augen auftauchten, konnte er zunächst nicht sicher über den Paarungserfolg sein (rotäugige Männchen schwirrten nun mal die ganze Zeit mit herum). Eine Mutante musste wenigstens noch ein paar Wochen am Leben bleiben, damit Morgan die Ergebnisse der nächsten Generation (F2) anschauen und die Mutante gegebenenfalls noch einmal zur Sache bitten könnte.
Das Fehlen von Weiß in der F1-Generation konnte erwartet werden, wenn die Genvariante, die das Ausbleiben von Rot nach sich zieht, in der Mendel'schen Terminologie der Genetik ein rezessives Allel (und die normale Version seine dominante Form) war. Als Resultat einer ersten Kreuzung kommen nur Kombinationen der beiden Allele in Frage - und damit das Erscheinen von roten Augen. Mit großer Spannung kreuzte man nun die Fliegen der F1-Generation und wartete darauf, welche Gen-Kombination sich jetzt zeigen würde. Das Warten lohnte sich: Die weißen Augen tauchten tatsächlich wieder aufaber ausschließlich bei Männchen, und zwar genau bei der Hälfte von ihnen. Alle Weibchen zeigten die normale Augenfarbe Rot.
Abb.1: Drosophila mit Chromosomen. Man erkennt oben links das Wildtyp-Weibchen und seine Chromosomen und daneben (oben rechts) das Wildtyp-Männchen mit seinen Chromosomen. Darunter sind drei spontan auftretende Varianten mit Mutationen zu sehen, die zu veränderten Flügeln führen.
Erst als man die weißäugigen Männchen der F2-Generation mit den rot-äugigen Weibchen kreuzte, erschienen unter den nächsten Nachkommen (F3) auch weißäugige Weibchen.
Die Deutung dieses Befundes ist für diejenigen, die nur wenig mit den Tänzen der Chromosomen vertraut sind, eher verwirrend. Sie ist trotzdem eindeutig und wichtig: Die Augenfarbe wird geschlechts-gebunden übertragen, was konkret heißt, dass man grob den Ort kennt, den das Gen für die Augenfarbe einnimmt: Es ist das Chromosom, das dafür sorgt, dass ein Männchen entsteht. Die Eigenschaften »männlich« und »rote Augen« müssen von ein und demselben Chromosom ausgehen, und es lohnt sich, ganz allgemein von dem Gedanken auszugehen - so meinte Morgan bald -, dass jedes Gen seinen spezifischen Locus auf einem Chromosom hat. Statt sich mit der alten Streitfrage abzugeben, ob es Mendels Gene in einem materiellen Sinn des Wortes in den Zellen gibt, sollte man besser versuchen, ihre Ort zu bestimmen. Könnte die Aufgabe eines Genetikers nicht darin bestehen, dies zu tun und mit Hilfe der Ergebnisse eine genetische Karte anzufertigen?
Die Antwort hieß natürlich »Ja«, und um ihre praktische Beantwortung kümmerte sich bereits seit 1913 der bereits erwähnte Alfred Sturtevandt. Er brauchte dazu zunächst eine Menge an veränderten (mutierten) Fliegen, die tatsächlich im Laboratorium in großer Zahl ohne besonderes Zutun auftauchten - es gab Mutanten mit kleineren Flügeln, veränderten Körperformen, merkwürdigen Antennen und kurzen Borsten, um nur einige Beispiele zu nennen. Kreuzte man sie in geeigneter Weise, konnte man beobachten, welche Eigenschaften zusammenblieben (welche also gekoppelt vererbt wurden), welche sich trennten und bei welchen neue Kombinationen (»Rekombinationen«) zustande kamen. In einer exakten Wissenschaft will man etwas zu zählen haben, und was die Genetiker in den folgenden Jahrzehnten so genau und so vielfältig wie möglich bestimmten, waren Rekombinationshäufigkeiten oder Rekombinationsfrequenzen, wie es auch heißt. Mit ihrer Hilfe lassen sich genetische Karten dadurch anfertigen, dass man die Position eines ersten Gens willkürlich festsetzt und in seiner Nähe das Gen platziert, das am seltensten mit ihm rekombiniert, das also am engsten mit ihm gekoppelt ist. Das Anfertigen genetischer Karten erfolgt - grob gesagt -dadurch, dass man Gene, die sehr häufig getrennt und rekombiniert werden, weit auseinander aufträgt, und Gene, bei denen dies sehr selten geschieht, nah beisammen legt. Es wäre natürlich hilfreich, wenn man das Gen, von dessen Ort man ausgeht, so auswählt, dass es am Ende eines Chromosoms liegt. Dies ist bald möglich geworden, und nach kurzer Zeit ließen sich sehr viele Orte auf den vier Chromosomen von Drosophila angeben. Die meisten Schwierigkeiten bereitete, geeignete Namen für die Mutanten zu finden. Bald tauchten in den Genetikbüchern Darstellungen der Art auf, wie sie Abbildung 2 zeigt. Sie wurden von Morgan, Bridges und Sturtevandt in den zwanziger Jahren des zwanzigsten
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