Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Verbündeten, Italien und Japan, zusammenzwang. Nach der Niederlage der «Achsenmächte» im Zweiten Weltkrieg zerbrach die heterogene west-östliche Allianz. Es begann der Ost-West-Konflikt, der Europa und der Welt viereinhalb Jahrzehnte lang seinen Stempel aufdrückte.
Einer Fortsetzung dieses Bandes muß es vorbehalten bleiben, die Geschichte des Westens von 1914 bis zum Ende des Kalten Krieges in den Jahren 1989 bis 1991 und danach darzustellen. Nach dem Untergang des sowjetischen Imperiums und seines Trägers, der Sowjetunion, glaubten manche Beobachter, es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis die Ideen des Westens sich auf der ganzen Welt durchsetzen würden. Tatsächlich sind bestimmte Hervorbringungen des Westens, vom Kapitalismus über die Industrialisierung und die Organisationsform des souveränen Nationalstaats bis hin zu ganzen Rechtssystemen und zu demokratischen Mehrheitsentscheidungen, schon von zahlreichen nichtwestlichen Gesellschaften übernommen worden, und nichts spricht dagegen, daß diese Art von Verwestlichung oder, besser, Teilverwestlichung fortschreitet. Doch der Westen hat längst aufgehört, die Welt zu dominieren. Er vertritt eine Lebensform und eine politische Kultur unter vielen, und wenn man die Nationen zusammenzählt, die sich als «westlich» verstehen, bilden sie zusammen nur eine Minderheit der Weltbevölkerung.
Der Anspruch der unveräußerlichen Menschenrechte aber bleibt ein universaler, und solange sie nicht weltweit gelten, ist das normative Projekt des Westens unvollendet. Der Westen kann für die Verbreitung seiner Werte nichts Besseres tun, als sich selbst an sie zu halten und selbstkritisch mit seiner Geschichte umzugehen, die auf weiten Strecken eine Geschichte von Verstößen gegen die eigenen Ideale war. Doch auch sonst läßt sich aus dieser Geschichte lernen. Die wichtigste Erkenntnis ist wohl die, daß Menschenrechte, Gewaltenteilung und Herrschaft des Rechts menschenfreundliche Errungenschaften sind und ihre Abwesenheit jedes Gemeinwesen über kurz oder lang in ernste Gefahr bringt. Aufzwingen freilich läßt sich diese Einsicht niemandem. Auch manche westliche Nationen, darunter Deutschland, haben schließlich lange gebraucht, bis sie zu dieser Einsicht gelangten und sie zu beherzigen begannen.
Absolutismus in der Krise: Frankreichs Weg in die Revolution
War die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts für die Staaten des aufgeklärten Absolutismus eine Zeit der inneren Erneuerung, so geriet Frankreich nach 1750 immer tiefer in eine schwere gesellschaftliche und politische Krise. Die Staatsverschuldung war schon am Ende der Regierungszeit Ludwigs XIV. gewaltig gewesen. Frankreichs militärisches Engagement im österreichischen Erbfolgekrieg, im Siebenjährigen Krieg und schließlich, seit 1776, im Unabhängigkeitskrieg der nordamerikanischen Kolonien Großbritanniens ließ die öffentliche Schuldenlast immer weiter anwachsen. Um die Staatsfinanzen zu sanieren, hätte das französische Steuersystem radikal umgestaltet werden müssen. Eine wirksame Reform verlangte vor allem eines: eine angemessene Belastung des Adels, der traditionell von den meisten Steuern befreit war. Gegen einen Verlust der Steuerprivilegien wehrten sich die Parlamente, die vom Adel beherrschten Gerichtshöfe, obenan das Pariser Parlament, ebenso verbissen wie geschickt. Sie gaben ihrer Opposition den Anschein eines Kampfes gegen den Absolutismus und für die Freiheit. Damit beeindruckten sie zeitweise auch größere Teile des Bürgertums.
1774 bestieg im Alter von 20 Jahren Ludwig XVI. den Thron der Bourbonen: ein redlicher, aber willensschwacher und geistig nicht besonders aufgeschlossener Dynast. Er begann seine Regierungszeit mit einer fatalen Fehlentscheidung: Er setzte die Parlamente, die 1771 unter seinem Großvater, Ludwig XV. (1715–1774), beseitigt worden waren, wieder in ihre alten Rechte ein. Damit machte er es dem neuen Generalkontrolleur der Finanzen, Anne Robert Turgot, faktisch unmöglich, sein Programm der Gewerbefreiheit und der Steuergerechtigkeit durchzusetzen.
Turgot war ein überzeugter Aufklärer und Physiokrat: Er setzte auf die freie Entfaltung der wirtschaftlichen Kräfte, wobei er, wie alle Physiokraten, in der Landwirtschaft den eigentlich produktiven Sektor der Wirtschaft sah. Politisch schwebte ihm ein antifeudales Bündnis zwischen Krone und Volk vor, und eines solchen Paktes hätte es in der Tat bedurft, um die finanziellen Privilegien des Adels zu
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