Vollmondfieber: Roman (German Edition)
KAPITEL EINS
I ch schnappte nach Luft und gab mir alle Mühe, aus diesem höllischen Albtraum aufzuwachen. »Herrje!«, stöhnte ich. Schweiß rann mir übers Gesicht, und ich fühlte mich benommen. Träumte ich? Sollte das der Fall sein, dann tat dieser Traum scheißweh.
Moment mal … eigentlich sollten Träume nicht wehtun.
Ohne Vorwarnung verkrampfte sich mein Körper erneut. Schmerz brannte in meinen Adern wie ein schlimmer Sonnenbrand nach einem Hitzetag am Strand. Unterwegs entfachte der Schmerz in jeder Zelle ein Feuer. Ich biss die Zähne zusammen und bemühte mich mit aller Kraft, der Welle aus Schmerz zu widerstehen.
Dann, so plötzlich, wie es angefangen hatte, war es vorbei.
Der abrupte Verlust jeder körperlichen Empfindung machte mich schlagartig hellwach. Ich riss in der Dunkelheit die Augen auf. Das war kein verdammter Traum. Rasch überprüfte ich meinen körperlichen Zustand. Die Bestandsaufnahme verriet mir, dass sich mein Körper anfühlte, als stünde er unter Strom. Aber glücklicherweise konnte ich mich wieder ganz normal bewegen. Das schwache, grüne Licht meiner Digitaluhr zeigte 2:07 an. Ich hatte nur ein paar Stunden geschlafen. Ich drehte mich auf die Seite. Schweißfeucht klebte mir eine Haarsträhne auf der Wange. Ich strich sie mir aus dem Gesicht. Aber kaum dass meine Finger in Hautkontakt kamen, keuchte ich auf und riss die Hand zurück wie ein Kind, das gerade einen heißen Ofen angefasst hatte.
Heilige Scheiße, ich brenne!
Das konnte nicht stimmen.
Keine Panik, Jess: Denk logisch!
Ich legte den Handrücken an die Stirn, um mir ein klareres Bild zu machen. Die Stirn war glutheiß; durchgeglühte Kohlen im Ofen hätten sich kühler angefühlt als meine Haut.
Ich muss wirklich krank sein.
Krank zu sein hatte in meinem Leben Seltenheitswert, aber vorkommen konnte es schon. Ich war nicht anfällig für Krankheiten, aber ich war auch nicht immun. Mein Zwillingsbruder wurde nie krank. Trotzdem war ich für Viren empfänglich, sofern sie bösartig genug waren.
Ich setzte mich auf und gestattete meinem Verstand, noch einen kurzen Moment über eine ganz andere Erklärung für meine Symptome zu sinnieren. Die Vorstellung war absurd. Reiß dich zusammen, dachte ich, du bist eine sechsundzwanzigjährige Frau. Das wird nie passieren. Es ist bestimmt nur eine Grippe. Kein Grund zur …
Ich hatte nicht einmal einen Atemzug Zeit, ehe mich ein neuer schmerzhafter Krampf mit voller Wucht erwischte. Es warf mich in die Kissen zurück, als der Schmerz durch mich hindurchpflügte. Mit dem Kopf knallte ich gegen das Kopfteil und zertrümmerte die Holzleisten, als wären es Streichhölzer. Mein Körper bäumte sich auf, das Kreuz durchgedrückt, als wollte ich es mir brechen. Wild schlug ich mit den Armen um mich, stieß gegen den Nachttisch und fegte alles hinunter, was daraufstand. Die Nachttischlampe explodierte beim Aufprall auf dem Boden. Der scharfe Knall ging in einem der Lage höchst angemessenen, jeder gut erzogenen Dame bestens zu Gesicht stehenden Aufschrei unter. »Scheiiiße!«
Die nächste Schmerzwelle mit ihren Krämpfen brach über mich herein und schwappte wie ein heißer Lavastrom tief hinein in meine Seele. Aber dieses Mal verlor ich mich nicht im fahlen Dunst des Unbewussten, dämmerte nicht hinüber. Dieses Mal blieb ich wach. Ich musste dagegen ankämpfen!
Ich war nicht krank.
Ich war mitten in der Wandlung!
Herr im Himmel, Frau, da verbringst du dein ganzes Leben damit, über diesen Augenblick nachzudenken, und wenn er kommt, willst du dir einreden, du hättest Grippe?! Was ist los mit dir? Wenn du am Leben bleiben willst, musst du deine Medizin nehmen, ehe es zu spät ist!
Der Schmerz begrub mich unter sich, starr und steif hingen Arme und Beine an meinem Leib. Ich war nicht imstande, mich zu rühren, während mich die Krämpfe mit unverminderter Kraft schüttelten, eine Welle nach der anderen. Die Erinnerung an die Stimme meines Vaters hallte klar und deutlich durch meinen Kopf: Jessica, widersprich mir nicht! Das ist eine notwendige Vorsichtsmaßnahme. Du musst es ständig bei dir haben. Ich hatte mich dümmer und sturer verhalten, als gut für mich war, und nun bezahlte ich den Preis dafür. Zu meiner Sicherheit sollte ich das neue Lederetui mit der einsatzbereiten Spritze, die einen ganz besonderen Drogencocktail enthielt, stets in Griffweite behalten. Der Inhalt war dazu gedacht, mir bei Bedarf die Besinnung zu rauben. Du wirst es vielleicht nie brauchen,
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