Geschwister - Liebe und Rivalitaet
Zusammengehörigkeit eine Gegenwelt gegen eine »lieblose Zeit« errichten.
Ich möchte an dieser Stelle besonders meinen beiden Schwestern, meinen Kindern und all meinen kleinen und großen Patienten danken, durch die ich die positiven Anteile der Geschwisterdynamik, aber auch ihre Schattenseiten miterleben und tiefer verstehen konnte.
Danken möchte ich natürlich auch Anja und Steppke für die Gespräche am Kaminfeuer und in der Sonne unter den Olivenbäumen am Rande des Piliongebirges und für das leitmotivische Bild, das ihre Geschwisterliebe in mir hinterlassen hat.
Nicht zuletzt danke ich dem Verlag und meiner Lektorin Frau Imke Rötger für die völlig überarbeitete und erweiterte Neuauflage des Buches und die konstruktive Zusammenarbeit.
Teil A:
Die Geschwisterliebe
1. Vorläufer der Geschwisterliebe während der Schwangerschaft und im Säuglingsalter
Ein chinesisches Sprichwort sagt: »Wende dein Gesicht immer der Sonne zu, dann fällt der Schatten hinter dich.« Über Geschwisterbeziehungen nachzudenken ist eine Frage der Perspektive. Auch wenn das Sprichwort trügt, wende ich mich zunächst der Sonne zu, dorthin, wo die reichhaltigen Facetten der Geschwisterliebe aufleuchten.
Ich betrachte die Sonne, wie sie langsam aufgeht. Der Morgen ist das Zeichen für den Beginn von Leben. Man wird die Geschwisterliebe nicht verstehen, wenn man nicht bis zu ihrem Ursprung zurückgeht. Nur so lässt sie sich auch wiederfinden.
Der Beginn von Leben. Der Beginn der Geschwisterliebe. Er liegt weit vor der Geburt des Geschwisters. Am Anfang war vielleicht der Wunsch, einen Bruder oder eine Schwester zu bekommen; dann beginnt die Geschwisterliebe mit diesem Wunsch. Oder die Mutter hat ihrem Erstling mitgeteilt, dass er oder sie bald einen Spielgefährten bekommt. Oder spätestens ab dem sechsten Monat krabbelt das Kind auf dem dicken Bauch der Mutter herum. Es sieht sie lächeln, es hört sie singen und mit dem unsichtbaren Wesen sprechen. Die Mutter hält den Kopf des Kindes an ihren Bauch – »Hörst du sein Herz schlagen?«, sie legt seine Hand an die Stelle, wo sich der Fötus gerade streckt – »Das ist sein Füßchen«. Und der Bauch wird von Tag zu Tag dicker, die Geräusche werden lauter, die Bewegungen stürmischer. Die Mutter freut sich. Ein Naturereignis geschieht – und das Kind nimmt daran teil. Diese vorgeburtliche Beziehung ist der Vorläufer der Geschwisterliebe. Sie beruht zum einen auf der Identifizierung mit der Liebe der Mutter zu ihrem ungeborenen Kind, zum anderen aber auch auf einerselbstständigen Objektbindung an das hörbare und tastbare Wesen in ihrem Bauch. Wie lässt sich diese Behauptung belegen? Durch Untersuchungen der pränatalen Psychologie ist seit längerem bekannt, dass die Mutter-Kind-Beziehung nicht erst mit der Geburt beginnt, sondern in die früheste Zeit der Schwangerschaft zurückreicht. Ab der Befruchtung bilden der Embryo und die Mutter eine psycho-biologische Einheit. Diese Erkenntnis lässt sich erweitern, wenn man die Familie als ein System betrachtet, in dem die Gefühlsbindungen durch die Anzahl seiner Teilnehmer bestimmt werden. Jede Schwangerschaft bedeutet eine Erweiterung des Systems, die eine Neudefinition seiner Regeln zur Folge hat. Es ist daher nicht erstaunlich, dass auch Väter durch die Schwangerschaft oft tief greifende Gefühlsveränderungen durchmachen, in die das erwartete Kind eingebunden wird. Warum sollten bereits vorhandene Kinder von diesem Prozess ausgenommen sein? Sie spüren nicht nur, dass sich mit der Schwangerschaft die Gefühlsstrukturen in der Familie verändern, sondern reagieren als Teil des Systems ebenfalls mit einer emotionalen Neuorientierung. Auch wenn die Beziehung zwischen Kindern und ihren noch ungeborenen Geschwistern bisher unerforscht ist, dürfte bei der Neuorientierung eine positive Gefühlseinstellung vorherrschen, weil einschneidende Benachteiligungen durch die Eltern oder Konflikte mit dem Geschwister erst nach dessen Geburt zu erwarten sind. Eine konfliktfreie, unambivalente Haltung ist besonders unter der Bedingung eines gut funktionierenden Systems, das heißt bei einer überwiegend liebevollen Familienatmosphäre anzunehmen. Wenn das Kind sich selbst geliebt fühlt, verfügt es über genügend libidinöse Energien, die es auf den Neuankömmling übertragen kann.
So vorbereitet, ist die Geburt, wie oft angenommen wird, keine Katastrophe, sondern ein mit Spannung erwartetes und lang ersehntes Ereignis. Das Baby
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