Gesundheit - Eine Frage des Geschlechts
Ungleich besser
„Wir werden nicht als Frauen geboren – wir werden dazu gemacht“, sagte die französische Philosophin Simone de Beauvoir vor mehr als 60 Jahren. Aus den Emanzipationsbestrebungen der Frauen entwickelte sich die Frauengesundheitsforschung und schließlich die Erkenntnis, dass Frauen und Männer eine geschlechtsspezifische Medizin brauchen.
Gleichstellung. Das ist seit langem das Zauberwort in Politik und Gesellschaft. Denn der „kleine Unterschied“ war es, der lange Zeit als Hauptgrund dafür herhalten musste, dass Frauen und Männern unterschiedliche Rollen in der Gesellschaft zugeteilt wurden. Vor mehr als 100 Jahren begannen die Frauen, organisiert gegen die Diskriminierung anzukämpfen, die auf diesem Unterschied gründet. Sie wehrten sich dagegen, dass sie aufgrund ihrer biologischen Ausstattung das schwache und deshalb untergeordnete Geschlecht sein sollten, das „andere Geschlecht“, wie die französische Feministin und Philosophin Simone de Beauvoir in ihrem 1949 erschienenen gleichnamigen Buch es nannte. Und sie wehrten sich dagegen, dass aufgrund ihrer biologischen Ausstattung fragwürdige Schlüsse auf ihre „Natur“, ihren Charakter, ihr Wesen und ihre Leistungsfähigkeit gezogen wurden. Ende des 19. Jahrhunderts sprach der deutsche Arzt Rudolf Virchow von der „Dependenz der Eierstöcke“, die den Frauen die Energie nähmen, weshalb er es kategorisch ablehnte, dass Frauen zum Medizinstudium zugelassen würden. 1900 veröffentlichte der Neurologe Paul Julius Möbius sein Pamphlet „Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes“, in dem er in dieselbe Kerbe schlug.
In zwei Anläufen konnte die Frauenbewegung im 20. Jahrhundert einiges an der Einstellung ändern, dass Frauen Männern unterlegen seien. Doch die Gleichstellungsdebatte ist in die Jahre gekommen und schwerfällig geworden. Immer noch wird um gleichen Lohn für gleiche Arbeit gestritten und immer noch darum, dass die männlichen Partner doch endlich die Hälfte des Haushalts übernehmen, wenn schon die Frauen nach wie vor um die Hälfte der Welt kämpfen müssen. Wendungen wie „gläserne Decke“ und „Beruf und Familie unter einen Hut bringen“ kann schon niemand mehr hören, obzwar beides Tatsachen sind, die Frauen weiterhin daran hindern, es den Männern gleichzutun. Die Erfolge der Emanzipation sind zaghaft, die Frauen jeder Generation wollen etwas anders, besser machen als ihre Mütter, und fangen doch wieder von vorne an.
Den Feministinnen der 1960er und 1970er Jahre ging es aber nicht nur darum, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensumstände der Frauen zu ändern. Sie richteten ihren Blick auch auf die Gesundheit der Frauen und verlangten die Selbstbestimmung über ihren Körper. Jahrhundertelang war die Medizin männlich geprägt gewesen. Sogar die Schwangerenbetreuung und Geburtshilfe, seit alters eine Domäne der „weisen Frauen“ – Hebammen –, rissen männliche Mediziner ab dem 14. Jahrhundert weitgehend an sich. Bis heute ist, so erstaunlich es klingt, in unseren Breiten die Frauenheilkunde von Männern dominiert: Es gibt bedeutend mehr Gynäkologen als Gynäkologinnen.
Gesundheit, erforscht
Im Jahr 1969 trafen sich im US-amerikanischen Boston Woche für Woche zwölf Frauen, die einander auf einer Emanzipationsveranstaltung kennengelernt hatten. Sie sprachen über ihren Körper, ihre Gesundheit und ihre Erfahrungen, die sie mit Ärzten gemacht hatten und immer wieder machten. Ihnen gemeinsam war, dass sie sich vom männerdominierten Medizinsystem entmündigt fühlten, aber wie die meisten Menschen selbst nicht über genügend Wissen verfügten, um sich in Gesundheitsfragen zu emanzipieren. Das wollten sie ändern.
Bereits ein Jahr später veröffentlichten die zwölf Frauen die erste Ausgabe eines Buches, das sich seither von einem dünnen Bändchen zur fast tausendseitigen Bibel unter den Frauengesundheitsbüchern in Amerika und zahlreichen anderen Ländern gemausert hat: „Our Bodies, Ourselves“ (deutsch: „Unser Körper – Unser Leben“ 1 ). Das Boston Women’s Health Book Collective, so nennt sich die Gruppe aus Journalistinnen, Soziologinnen und Anthropologinnen seit damals, ist von einer kleinen, engagierten Truppe, die sich am Küchentisch zusammenfand, zu einer Institution in Sachen Frauengesundheit geworden. Ihr Anliegen ist es, Frauen gesicherte (im Fachjargon: „evidenzbasierte“) Informationen über sämtliche Themen der Frauengesundheit – von
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