Gewalt ist eine Loesung
zerstörerische Gewalt aber, die von solchen Gruppierungen ausgeht, konnten wir nur erahnen. Und wir wollten sie endlich selbst erfahren …
Beim folgenden Heimspiel ein paar Tage später trafen wir zufällig an einem Bierstand auf ein paar Jungs der Blue Army. Mit knapp 18 Jahren waren wir mit Abstand die Jüngsten vor der Bude. Und Ben sprach uns tatsächlich an. Ben gehörte zur Führungscrew des OWT und war ein angesehener Kämpfer der Blue Army. Ich kannte ihn flüchtig, da er der Cousin eines guten Schulfreundes war. Er begrüßte uns freundlich. »Hallo! Ich hab euch schon gegen Bochum hier gesehen. Schade, hat ja nicht geklappt. Aber nächste Woche kriegen wir sie. Fahrt ihr mit?« Frank und ich konnten es nicht glauben. Wir und die Blue Army? »Ja, auf jeden Fall. Wir haben auch schon die Karten fürs Spiel«, antwortete ich aufgeregt. »Sehr gut, ihr könnt bei uns mitfahren. Wir nehmen den Zug um 18 Uhr.« Ben und seine Kumpane ließen uns an dem Bierstand zurück. Wir waren sprachlos. Die Blue Army wollte uns haben?
Endlich Mittwoch. Frank und ich fieberten schon die ganze Woche dem DFB-Pokal-Rückspiel entgegen. Ein Abendmatch unter Flutlicht. Wir gingen zum Hauptbahnhof und kauften uns einen 10er-Container Herforder Pils. Am Bahnhof angekommen trauten wir unseren Augen nicht. Der gesamte Vorplatz war voll mit Jungs. Es müssen wohl um die 200 gewesen sein. Und keiner trug auch nur ein Trikot oder einen Schal, um nicht sofort von der Polizei als Bielefelder erkannt zu werden.
Die war allerdings in großer Zahl bereits vor Ort. Und stieg komplett mit in den Zug, um uns nach Bochum zu begleiten. Frank und ich erwischten das Abteil, in dem Marius saß. Marius gehörte wie Ben zur engsten Führungsschicht der Blue Army. Er kam ursprünglich aus der Skinhead-Szene, wechselte dann aber zum OWT. Er war als ein Schläger bekannt, der ohne zu zögern und aus geringstem Anlass hart zuschlug. Wir waren in der richtigen Gesellschaft.
Nach einer halben Stunde Fahrt öffneten sechs Polizisten unsere Abteiltür. Sie kontrollierten sämtliche Wagen, verlangten unsere Personalausweise und fragten die Personalien über Funk ab. Danach durchsuchten sie jeden Einzelnen von uns nach Waffen. Für uns eine völlig neue Erfahrung. Als Marius aufstand, fragte einer der Polizisten: »Haben Sie noch andere Oberbekleidung dabei?« »Nein, wieso?« »Ihr T-Shirt ist beschlagnahmt. Wegen Verwendung eines verfassungswidrigen Symbols.« Ich schaute mir sein Shirt an. Ein brennendes Keltenkreuz. Der Bundesinnenminister warf Neonazis vor, dieses Symbol als Ersatz für das bereits verbotene Hakenkreuz zu verwenden. Die Darstellung des Keltenkreuzes in jeglicher Form war somit untersagt. Warum Marius noch immer mit den Shirts aus seiner Vergangenheit herumlief, blieb mir verborgen. Als er aber sein T-Shirt auszog, mussten die Polizisten erkennen, dass auf seinem voll tätowierten Oberkörper drei große Keltenkreuze eingestochen waren … Dem Polizeibeamten fehlten die Worte. Nachdem er die Fassung wiedererlangt hatte, sagte er: »Ich glaube, es wäre eine gute Idee, wenn Sie sich etwas überziehen würden.« Marius streifte sich eine Jacke über seinen bloßen Oberkörper, zog den Reißverschluss zu und sagte zu dem verstörten Polizisten: »Ja, ja, ich weiß. Letztes Mal musste ich 500 Mark bezahlen.« Dann streckte er sein Bier in die Höhe und schrie: »Scheiß drauf. Auf die Arminia!« Das gesamte Abteil stimmte in den Chor mit ein.
Die 200 Mann starke Bielefelder Zugbesatzung wurde von der Polizei auf kürzestem Weg zum Stadion eskortiert. Es war eine beeindruckende Masse an Schlagkraft, die sich da durch Bochum bewegte. Viele Gesichter kannten wir vom Bielefelder Nachtleben und von Schlägergeschichten rund um die Stadt. Es waren völlig unterschiedliche Leute in dieser Gruppe zusammengefasst. Einige von denen gingen seit Jahren nicht mehr zum Fußball, aber elektrisiert durch das Entscheidungsspiel und die erwartete Schlägerei, strömten sie an diesem Abend herbei. Jetzt zählte nur noch die Arminia Bielefeld. Der große Showdown stand unmittelbar bevor.
Um kurz vor 20 Uhr erreichten wir das Stadion und wurden unter den neugierigen Blicken der 2000 Bielefelder Zuschauer von der Polizei in den Block verfrachtet. Dort trafen Frank und ich ein paar Bekannte und Freunde, die wir von Alm-Besuchen, Kneipen oder Diskos kannten. Einige fragten leise, beinahe ehrfürchtig: »Seid ihr mit den Jungs im Zug gefahren?« Völlig cool
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