Gewalt ist eine Loesung
tatsächlich zur Wehr gesetzt? Unsere verlorene Ehre zurückerkämpft? Ja! Wir hatten es geschafft. Oder?
Die Schlägerei im Bus sprach sich wie ein Lauffeuer in unserem Viertel herum und nur zwei Wochen später forderte die Türken-Clique Revanche für die erlittene Schmach im Schulbus. Die meisten jungen Deutschen hatten schon ähnliche Erfahrungen mit der türkischen Gruppe gemacht und bewunderten unsere Gegenwehr. Mit unserem jugendlichen Verstand hatten wir uns geschworen, gemeinsam das Viertel wieder zurückzuerobern.
Wir wollten keine Demütigungen mehr ertragen müssen. Damit war endgültig Schluss. Bald zumindest, hofften wir. Es stand nur noch der Rückkampf aus. Und an einem Freitag sollte es zum Showdown auf unserem Schulhof kommen.
Die Anspannung stieg bis ins Unerträgliche. Die Tage davor hatten Frank, Thomas und ich noch leidenschaftlicher und härter trainiert. Der Freitag kam und niemand wusste, ob es tatsächlich zu einem Fight kommen würde. Wir fühlten die Angst in uns aufsteigen. Die Angst vor einer Niederlage. Aber wir wollten uns dieser Sache auch stellen. Und so läutete es zur zweiten Pause. Der Schulhof füllte sich, wir standen da und warteten. Wir waren bereit – der Gegner musste nur noch kommen.
Und die Türken kamen. Sie stürmten den Lehrerparkplatz entlang, zwischen den Gebüschen durch und rannten direkt auf uns zu. In kürzester Zeit entwickelte sich eine wüste Massenschlägerei. Absolutes Chaos. Manche fielen hin. Andere traten mit Füßen auf die Liegenden, Fäuste krachten in Gesichter und in Rippen. Überall nur dumpfes Krachen, Schreie und Gestöhne. Frank mit seiner gewaltigen Körpergröße erwischte einen der Anführer der Gegenseite hart im Gesicht. Dieser konnte sich nur noch taumelnd auf den Füßen halten. Thomas kämpfte weiter hinten links im Getümmel, sodass ich ihn nicht richtig sehen konnte. Ich selbst rang in einem großen Knäuel mit fünf, sechs Türken. Jeder schlug, würgte und trat seinen Gegner. Meine erlernten Boxkenntnisse konnte ich in der chaotischen Schlägerei längst nicht mehr anwenden. Das hier war Straßenkampf – ohne jede Regel. Und diesen Straßenkampf hatten wir für uns entschieden. Dachten wir zumindest, ohne zu wissen, dass die ganze Sache noch ein Nachspiel haben könnte.
Die Lehrer an unserer Schule waren völlig entsetzt über diese Form von Gewalt. Sie konnten und wollten nicht verstehen, was da auf ihrem Schulhof geschehen war, schon gar nicht als typische Vertreter einer ganzen Lehrergeneration – der Alt-68er. Sie weigerten sich beharrlich, zu glauben, dass Jungs aus Einwandererfamilien grundlos uns Schüler angepöbelt und geschlagen hatten. Immer wieder prasselten dieselben Fragen auf uns herein: »Was habt ihr ihnen getan, dass sie sich so verhalten? Euch sogar bis in die Schule verfolgen und angreifen?« Dass die jungen Türken einfach nur Spaß daran hatten, uns zu schikanieren, überstieg das Heile-Welt-Denken unseres Lehrerkollegiums.
Nach der Schlägerei wurde umgehend der Lehrplan geändert. Die verbleibenden zwei Jahre unserer Schulzeit gab es in den Fächern Deutsch, Geschichte und Politik nur noch ein Thema: »Das dritte Reich«. Unsere Fragen, warum diese Jungs sich derart aggressiv und gewalttätig verhalten durften, wurden mit nur einem Begriff beantwortet: Auschwitz. In einem Land, das den Holocaust zu verantworten hatte, durften Ausländer weder beschimpft noch geschlagen werden. Dass wir uns nach monatelangen Bedrohungen, Beleidigungen, Demütigungen und Schlägen nur unserer Haut erwehren wollten, blendeten die Pädagogen völlig aus. Es passte nicht in ihre Ideologie einer multikulturellen Welt.
Dabei hatten wir diese Fragen längst beantwortet. Es folgten noch ein paar weitere Schlägereien und Revierkämpfe. Wem gehörte der Bolzplatz? Das neu eröffnete Jugendzentrum? Das Freibad in unserem Viertel? Gekämpft wurde um ziemlich alles – es gab Siege und Niederlagen, aber mit der Zeit ebbten die Provokationen, Beschimpfungen und Bedrohungen im Viertel langsam ab. Niemand wurde mehr geschlagen. Es gab plötzlich ein Zusammenleben. Irgendwie. Wenn wir ein paar von den türkischen Jungs zufällig trafen, gab es keine feindseligen Blicke mehr. Sie schauten weg und ließen uns in Ruhe. Wir hatten uns Respekt verschafft.
Was also war nun mit der These unserer Lehrer, dass Gewalt keine Lösung sei? Sie hatten sich geirrt. Wir konnten das Gegenteil beweisen: Gewalt ist eine Lösung!
3.
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