Gewalt ist eine Loesung
unsere einfachen finanziellen Verhältnissen nicht erlaubt hätten, drei weitere Schuljahre bis zum Abitur anzuhängen. Da ich eine feste Freundin hatte, aber noch in meinem Jungendzimmer bei meiner Mutter wohnte, wollte ich so schnell wie möglich mein eigenes Geld verdienen. Ein reiner Bürojob kam nicht infrage. Und eine Handwerksausbildung kam für mich leider auch nicht in Betracht, da es mir hierfür an der notwendigen Begabung gefehlt hätte.
Wie fast jeder junge Bursche wäre ich am liebsten zum Geheimdienst gegangen und ein deutscher James Bond geworden. Das war aber leider nicht realistisch. Also: Polizei! Nicht die Landespolizei, denn die war in meinen Augen uncool und spießig. Allein schon die schrecklichen Polyester-Uniformen. Das war keine Option. Also entschied ich mich, genau wie mein Freund Thomas ein Jahr zuvor, zum Bundesgrenzschutz zu gehen. Der Bundesgrenzschutz besaß ein elitäres Image. Der BGS war keine gewöhnliche Polizei, die sich um läppische Verkehrsunfälle und Familienstreitigkeiten kümmerte. Mit diesem Kleinkram gab man sich dort nicht ab. Die hoch motivierten, austrainierten Hundertschaften des BGS wurden per direkten Befehl des Bundesinnenministers in Marsch gesetzt. Dahin, wo sie am dringendsten gebraucht wurden. Und über all diesen Einheiten thronte die GSG 9, die Grenzschutzgruppe 9. Elite-Polizisten, die es seit der spektakulären Befreiungsaktion in Mogadischu weltweit zu Ruhm und Anerkennung gebracht hatten. Genau da wollte ich hin.
Ich trainierte noch härter beim Boxtraining, um den strengen Auswahltest bestehen zu können. Verschiedene Aufgaben wie Intelligenztest, Aufsatz zu einem aktuellen politischen Thema, Diktat, ärztliche Untersuchung, Sehtest, Hörtest und Belastungs-EKG standen mir bevor. Nach dem ersten Tag des Aufnahmetestes wurden von den bereits zuvor streng ausgewählten Bewerbern vier nach Hause geschickt. Der zweite Tag des Verfahrens begann mit einer sehr anspruchsvollen Hindernisbahn, dann ein 100-Meter- und ein 5000-Meter-Lauf. Zum Abschluss stand noch ein persönliches Gespräch vor einem dreiköpfigen Prüfungsausschuss an. Ich war also gefordert. In meiner Bewerbergruppe waren 14 junge Männer, davon schafften es nur vier. Ich war einer von ihnen. Ich wurde aufgenommen und fand mich erneut in einem Kreis von jungen Männern, in den nicht jeder aufgenommen wurde, der das wollte. Wie beim Fußball.
Meine Ausbildung zum Polizeihauptwachtmeister im Bundesgrenzschutz – so die offizielle Bezeichnung – trat ich im Oktober 1988 in Bodenteich an. Ein kleines Dörfchen in der Nähe von Uelzen, nicht weit entfernt von der damals hermetisch abgeriegelten DDR-Grenze. In der Kaserne befanden sich vier Hundertschaften mit neuen Auszubildenden. Am zweiten Tag der Ausbildung traten wir im Hundertschaftsrahmen unserer Einheit an. Wir erhielten unsere Ernennungsurkunde zum Polizeibeamten auf Probe. Bei der Zeremonie ergriff der stellvertretende Hundertschaftsführer das Wort. »Männer: Wie Sie alle wissen, ist es gemäß dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland nur Deutschen gestattet, Polizeibeamter zu werden. So frage ich Sie: Befinden sich hier nur Deutsche? Oder haben wir Ausländer unter uns? Oder gar Türken?« Wir schauten uns verstohlen aus den Augenwinkeln an. Hatten wir richtig gehört?
Die Ausbildung war eine gute Mischung aus körperlicher und geistiger Anforderung. Die Themen waren interessant aufgearbeitet und die Ausbilder alle gestandene Polizeibeamte, die selbst jahrelang für das Innenministerium gearbeitet hatten. Wenn sie von ihren eigenen Einsätzen erzählten, herrschte bei uns Schülern anerkennendes Schweigen. Hamburg Hafenstraße, die Schlachten von Wackersdorf und Gorleben, RAF-Fahndungen und Anti-Terror-Einsätze. Und dann noch die Erfahrungen mit den DDR-Grenztruppen, die nur 40 Kilometer entfernt von uns an der innerdeutschen Grenze patrouillierten.
Viele der Ausbilder machten aus ihrer rechtskonservativen Einstellung kein Geheimnis. Und wir jungen Anwärter sogen ihre anspruchsvollen und gleichzeitig antikommunistischen Ausführungen auf. Die Grenztruppen der DDR wurden in unserer Ausbildung als das Feindbild Nummer eins hervorgehoben. Dicht gefolgt von den Steine werfenden Autonomen der Hamburger Hafenstraße. Schon in den ersten Wochen unserer Ausbildung wurden wir auf unsere künf tigen Gegner heiß gemacht – und entsprechend trainiert. Ganz egal, ob beim Schießtraining mit Maschinenpistole, Gewehr oder Pistole,
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